Düsseldorf Grishams böser Blick auf die Provinz

Düsseldorf · Der Bestseller-Autor legt mit "Die Erbin" eine ebenso lakonisch-witzige wie fesselnde Geschichte vor.

Es ist kein schöner Anblick, der sich dem örtlichen Sheriff und einem Farmarbeiter im ländlichen Mississippi bietet. Seth Hubbard, ein Besitzer mehrerer Fabriken und Plantagen im Umland, hängt tot an einem Baum. Noch wenige Stunden zuvor war der grimmige Einzelgänger, der unheilbar an Lungenkrebs litt, im Gottesdienst erschienen. Nun hatte er seinem Leben ein Ende gesetzt, und das Testament, das er hinterlassen hat, wird die schläfrige Kleinstadt Clanton in Aufruhr versetzen.

Wenige Stunden vor seinem Tod hat der alte Mann ein handschriftliches Manuskript verfasst, das ein zuvor aufgesetztes Testament aufhebt und seine schwarze Haushälterin Lettie Lang praktisch zur Alleinerbin macht. Hubbards Kinder, sein Sohn Herschel, seine trinkende Tochter Ramona und ihr schmieriger Ehemann Ian, die den Alten jahrzehntelang gemieden haben, wo es ging, können es nicht fassen. Alle drei sind mehr oder weniger verkrachte Existenzen, einander in herzlicher Abneigung verbunden und sollen nun einer einfachen Putzfrau das Geld überlassen, das sie aus ihrem trüben Dasein reißen könnte. Sie schließen sich zusammen, heuern Anwälte an und wollen alles daran setzen, Lettie als manipulative Goldgräberin darzustellen, die ihren schwer kranken Vater dazu brachte, ihr das eigentlich seinen Kindern zustehende Vermögen zukommen zu lassen.

Seth aber hat seinen Abgang generalstabsmäßig geplant, verwirrt wirkte er keineswegs. Er sorgte dafür, dass der junge Anwalt Jake Brigance sein Testament bekommt und beauftragte ihn, seinen letzten Willen durchzusetzen. Aus seinen Zeilen spricht nichts als Verachtung für seine Verwandtschaft, 90 Prozent seines Vermögens, das sich auf mehr als 20 Millionen Dollar beläuft, sollen an Lettie gehen, zudem fünf Prozent an seine Kirche und weitere fünf an seinen Bruder Ancil, mit dem ihn offenbar eine traumatische Kindheit verbindet. Eindringlich appelliert er an Brigance, seine Sippschaft leer ausgehen zu lassen. Allerdings soll diese das erst erfahren, wenn die Beerdigung vorüber ist. "Ich will, dass sie alle Trauerrituale durchlaufen, ehe sie erfahren, dass sie nichts bekommen werden. Schauen Sie sich an, wie sie die Trauer heucheln — sie können das gut. Aus Liebe zu mir heulen sie jedenfalls nicht."

Seth Hubbard hat sich für Brigance entschieden, weil dieser in einem spektakulären Prozess einen Freispruch für einen schwarzen Vater erwirkt hatte, der die weißen Vergewaltiger seiner Tochter getötet hatte. Er halte ihn daher für einen aufrichtigen Menschen und für den einzigen Anwalt in der Stadt, der kein korrupter Halsabschneider war. Brigance, der seit dem Prozess in Angst vor dem Ku-Klux-Klan lebt und alles andere als finanziell abgesichert ist, wittert die Chance, seinem öden Leben als Kleinstadt-Anwalt zu entkommen und dank eines üppigen Honorars seiner Familie wieder ein angemessenes Leben bieten zu können. Allerdings steht ihm ein erbitterter Kampf vor Gericht bevor, und die Zahl seiner Unterstützer ist einerseits überschaubar und andererseits mehrheitlich alkoholkrank.

Mit "Die Erbin" legt John Grisham (59), einer der erfolgreichsten Thrillerautoren der Gegenwart, die Fortsetzung seines ersten Romans "Die Jury" von 1989 vor. Wieder begibt er sich hinab in die schwüle Bigotterie des rassistischen Südens und zeichnet einen Mikrokosmos, in dem einer dem anderen nicht den Dreck unterm Fingernagel gönnt und alle ihr tristes Leben nur mit Fatalismus und der Aussicht auf das große Geld ertragen. Zwar verbirgt sich hinter "Die Erbin" eine emotionale Familiengeschichte, doch ist das Buch in erster Linie eine Provinz- und Juristen-Satire, die umso überzeugender wirkt, weil der Autor aus diesem Milieu stammt. Bevor Grisham zu einem der meistgelesenen Schriftsteller der Welt wurde, der bis heute rund 300 Millionen Bücher verkauft hat, arbeitete er zehn Jahre lang als Anwalt in Southhaven, Mississippi.

Die Sprache ist von erlesener Schnodderigkeit, die Dialoge sind durchsetzt mit Spitzen und kleinen Unverschämtheiten. Als ein Anwalt der Gegenseite Informationen von Jake erhalten möchte, hat der nur einen Gedanken: "Find's doch selbst raus, du Arsch."

John Grisham ist erneut ein fesselndes Buch gelungen, das weniger von der Spannung als der Vorfreude auf die nächste Absurdität im Anwalts-Haifischbecken lebt. Dass er laut eigener Aussage seinen Job als Jurist in einem US-Kaff nicht mehr ertragen konnte, ist nach Lektüre dieses Buches durchaus plausibel.

(RP)
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