Düsseldorf Gruppentherapie mit Jessie J in Düsseldorf

Düsseldorf · Das Konzert von Jessie J in der Mitsubishi Electric Halle von Düsseldorf lässt sich am besten als gigantische Gruppentherapie beschreiben. Die Sängerin und Songschreiberin, die in den vergangenen vier Jahren eine erstaunliche Karriere hingelegt hat, reflektierte auf der Bühne ihre eigene Rolle im Musikbetrieb und tröstete Fans aus den ersten Reihen, die Träne um Träne vergossen. "Warum weinst du die ganze Zeit", fragte sie ein Mädchen im Publikum: "Lass uns drüber reden - mein Vater ist Psychologe." Es sei, weil sie sich so freue, hier zu sein, antwortete die 15-Jährige: "Ich liebe dich so sehr."

Dass Jessie J so viel Liebe entgegenschlägt, hat auch damit zu tun, dass die Engländerin sich so authentisch gibt. Sie ist ein Star zum Anfassen. Einer, mit dem man reden kann beziehungsweise muss. Obwohl ihre Inszenierung auf Platten- oder Magazin-Covern und in Videos dem manchmal widerspricht, will Jessie J offenbar keine dieser unnahbaren Pop-Figuren sein, die die Fans nur anhimmeln dürfen. "Manchmal sehe ich mich selbst auf der Bühne stehen oder im Fernsehen auftreten und wundere mich: Bin ich das wirklich?", erzählte die 27-Jährige in einer ihrer Zwischenansagen, die oft zu ausgedehnten Plaudereien mit den Fans ausarteten.

In Momenten der Unsicherheit erinnert sie sich an das Mädchen, das Jessica Ellen Cornish heißt und dem seine Mutter vor Gesangswettbewerben mit auf den Weg gab: Sing, was schwierig ist, was dich aus der Komfortzone bringt. Also knöpfte sie sich einen Whitney-Houston-Song vor: "I Have Nothing". Auch die 5000 Fans in Düsseldorf bekamen ihn zu hören. Hervorragend vorgetragen, mit Gefühl und Leidenschaft und einer phantastischen, sechsköpfigen Band.

Jessie J knüpfte mit ihrem Auftritt mehr an die goldene Zeit des Soul-Pop an als an die aktuell angesagte Mixtur aus R'n'B und HipHop, die einem aus jedem Radio unterfüttert mit exakten Basslinien aus dem Computer entgegenschlägt. Zwar lief sie die ganze Zeit mit einem extrem kurzen Kleid, eher einer Art Negligee, über die Bühne, spielte die Über-Hits "Do It Like A Dude" und "Price Tag" in Hot Pants und BH. Doch man spürte, dass diese Art des übersexualisierten Auftritts eher einer Rihanna oder Miley Cyrus zu Gesicht steht. Jessie J startete ihre Karriere als Songwriterin - und das ist, was sie interessiert: gute Lieder, guter Gesang - und dass da unten echte Menschen stehen.

(RP)
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