Ingrid Bachér "Grass tanzte, wie er schrieb"

Eine Erinnerung an die ersten Erfolge des verstorbenen Literaturnobelpreisträgers und seine Streitlust.

So reagieren Politik und Gesellschaft auf den Tod von Günter Grass
Infos

So reagieren Politik und Gesellschaft auf den Tod von Günter Grass

Infos
Foto: dpa, pl_rh nic

Lübeck Anfang Mai soll im Lübecker Theater die Gedenkfeier für Literaturnobelpreisträger Günter Grass stattfinden, der am Montag 87-jährig gestorben ist. Zu seinen Weggefährten zählt auch die Düsseldorfer Autorin Ingrid Bachér (84), die sich an den frühen Dichter Günter Grass erinnert, den großen Tänzer und streitbaren Geist.

Sie waren als Mitglied der Gruppe 47 auch Zeitzeugin, als Günter Grass 1958 in Großholzleute erstmals aus dem Manuskript der "Blechtrommel" las. Welche Stimmung herrschte damals?

Bachér 1958 , da war die Stimmung ja auch politisch sehr bewusst lebendig. Z. B. viele der 47-er nahmen damals Teil an den großen Demonstrationen gegen die geplante atomare Bewaffnung der Bundeswehr, und so passte dieser Text von Grass in seiner aggressiven Phantasie und Radikalität genau in unsere Zeit. Grass griff unsere Vergangenheit auf und transponierte sie in so sinnlicher Überlebensart, dass wir sofort verstanden: Hier hatten wir das Glück, etwas Ungewöhnliches gehört zu haben .

War das ein Einschnitt auch für die junge bundesrepublikanische Literatur, die plötzlich an die Weltliteratur anzuknüpfen schien?

BachÉr Das war uns damals nicht so bewusst, weil wir alle jung waren und dachten, sowieso dazuzugehören. Also war sein Text weniger eine Überraschung, es war das, was wir erwarteten, das Gelungene.

Wie reagierte Grass damals auf seinen Triumph?

Bachér Er wusste, dass sein Buch gut war. Ich habe ein Foto von ihm gemacht. Da steht er in Siegerpose, aber verhalten ruhig, so fest in sich wie er war. Und natürlich wurde der Erfolg auch gefeiert. Am letzten Abend der Tagung, wie immer bei der Gruppe 47, getanzt und gefeiert.

Und Grass war ein großer Tänzer.

Bachér Er tanzte wie er schrieb, kräftig und ausdauernd. Und keine von uns dachte, sie tanze nun mit einem künftigen Nobelpreisträger. Er schrieb und wir schrieben und wir alle wollten wie er mit den Worten Wirklichkeit bezeugen und erschaffen. Ich mochte ihn sehr, schätzte seine Eigenart und hatte ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm. Doch haben wir uns später auch sehr gestritten.

Das war damals, als es nach dem Mauerfall darum ging, die Schriftstellerverbände des West-Pen mit dem Ost-Pen zu vereinigen.

Bachér Ich war zu dieser Zeit Präsidentin des West-PEN. Er war für die sofortige Vereinigung, während ich erst länger darüber verhandeln und schauen wollte, wer da zusammenkommt. Ich war für eine langsame Annäherung.

Mit Kritik schien Grass ohnehin schlecht umgehen zu können.

Bachér Widerspruch konnte er nur schwer ertragen. Vielleicht gehörte das auch zu seinem Selbstverständnis. Wer nicht wahnsinnig von sich selber überzeugt ist, kann kein großer Schriftsteller werden. Er war groß.

Können Sie sich noch an Ihre letzte Begegnung mit Grass erinnern?

Bachér Das war in der Akademie der Künste in Berlin. Dort wurden Texte von Autoren vorgelesen, die während der Nazi-Zeit aus der Akademie ausgestoßen worden waren, ermordet wurden oder ins Exil gingen. Grass sagte zu mir: Wenn ich politisch nicht mehr tragbar wäre und ausgestoßen würde, kaum einer meiner Kollegen würde an meiner Seite bleiben.

Er war also desillusioniert?

Bachér Er kannte die Menschen, hörte aber deswegen nie auf, sich für andere einzusetzen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort