Düsseldorf Handke bedichtet stilles Örtchen

Düsseldorf · Die große literarische Geste des Peter Handke ist wahrscheinlich der Versuch: das bewusste Herantasten an einen Gegenstand also, die Weigerung, zu behaupten, dass etwas so und nicht anders ist, sowie eine Grundskepsis gegenüber der Sprache. Letzteres wiederum zählt literaturgeschichtlich mittlerweise schon zur österreichischen Folklore.

Und so hat der 1944 in Kärnten geborene, seit vielen Jahren bei Paris lebende Dichter bereits drei solcher Versuche unternommen: mit dem "Versuch über die Müdigkeit", über die Jukebox sowie über den geglückten Tag. Über 20 Jahre ist das schon her. Und nun Handkes nächster Versuch, einer über den sogenannten stillen Ort.

Wer aber bei einem der feinsinnigsten, zur Esoterik neigenden und den Schmerzen zuneigenden Dichter deutschsprachiger Literatur sich jetzt irgendetwas Überhöhtes vorstellt, muss enttäuscht werden: Peter Handke geht es diesmal tatsächlich ums Klo, den Abort, den Donnerbalken, die öffentliche Bedürfnisanstalt, je nachdem halt, wo und zu welcher Zeit sich die Besichtigung dieser Lokalität gerade ereignet.

Allerdings muss man bei Handke auch nicht befürchten, dass es nun irgendwie unappetitlich wird. Aber auch eine ästhetische Überinszenierung bleibt aus. Vielmehr ist dieser Versuch eine rührende wie selbstredend sprachmächtige Begegnungsgeschichte des Autors mit dieser Stätte der Notdurft.

Dazu gehört, wie er zu Beginn seiner Internatszeit verzweifelt und vergeblich ein Klo sucht, wie die Toilette für den Einzelgänger zum Asylort wird, bedrückend auch die Schilderung der einsamen Reise des jungen Abiturienten, der in einer Bahnhofstoilette übernachtet und dort fast ein Büßer wird: gekrümmt auf dem harten Steinboden liegend, den Kopf auf den Seesack gebettet und "vor Augen nichts als das Spiegelweiß des Klosettsockels". Das Klo als Versteck, als Einsiedelei, als Rückzugsgebiet und – in der weihevollen Tonlage Peter Handkes – als "etwas Grundanderes".

Das ist ja die Leistung des Österreichers, bekannten Dingen Neues, Ungeahntes abzuringen. Wie tief die Ruhe plötzlich wird, wenn Handke die japanische Tempeltoilette von Nara würdigt, oder wie er die "konzentrierte Geometrie" der Klosetts betont und deren Raum- und Zeitferne preist. Und wer wusste schon, dass die letzte Arbeit des Architekten Friedensreich Hundertwasser eine Toilette auf Neuseeland war?

Zur Häme bietet der Essay dennoch keinen Anlass; die stillen Orte sind nicht des "Dichters Feuchtgebiete". Sein Hohes Lied auf den schmutzigen und ekelhaften Raum gilt allein der Sprache. Schon am Anfang rühmt Handke den ausgiebigen Kloverbleib, "um nichts mehr zu hören von dem Gerede".

In dieser Welt verstummt Handke, wird sprachlos, einsilbig. Und ausgerechnet am stillen Ort – abseits von "Volksgemurmel" und "Weltgeräusch" – beginnt seine Sprach- und Wörterquelle wieder zu sprudeln. Das muss man nicht allzu wörtlich nehmen. Nur dies: dass Handke als Dichter nur in rigoroser Weltabkehr existieren kann. Darum ist dieser Essay auch kein Klo-Buch, sondern eine intensive, literarische Selbstauskunft. "Der Versuch über den Stillen Ort" ist ein Versuch über Peter Handke.

Info Peter Handke: "Versuch über den Stillen Ort". Suhrkamp Verlag, 109 Seiten, 17,95 Euro

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort