Literatur-Nobelpreis Herta Müller —­ die Heimatlose

Stockholm (RP). Überraschend ist am Donnerstag der rumäniendeutschen Schriftstellerin der Nobelpreis für Literatur zuerkannt worden –­ zehn Jahre nach der Ehrung von Günter Grass. Der Preis gilt diesmal einer Autorin, die sich immer wieder mit dem Leben in der Diktatur und seinen Folgen auseinandergesetzt hat.

 Herta Müllers Grundschulzeugnis in rumänischer Sprache.

Herta Müllers Grundschulzeugnis in rumänischer Sprache.

Foto: AP, AP

Stockholm (RP). Überraschend ist am Donnerstag der rumäniendeutschen Schriftstellerin der Nobelpreis für Literatur zuerkannt worden —­ zehn Jahre nach der Ehrung von Günter Grass. Der Preis gilt diesmal einer Autorin, die sich immer wieder mit dem Leben in der Diktatur und seinen Folgen auseinandergesetzt hat.

 Die deutsche Autorin Herta Müller war überrascht und sprachlos über die Auszeichnung mit dem Literatur-Nobelpreis.

Die deutsche Autorin Herta Müller war überrascht und sprachlos über die Auszeichnung mit dem Literatur-Nobelpreis.

Foto: AP, AP

So groß der Pulk ihrer Gratulanten auch war, immer wird er zu klein gewesen sein. Weil einer fehlte, fehlen musste: der vor drei Jahren gestorbene Lyriker Oskar Pastior. Mit ihm hatte sie den Stoff zu "Atemschaukel” recherchiert ­— jenem Roman, für den Herta Müller den mit knapp einer Million Euro dotierten Nobelpreis für Literatur bekam. Jeden Tag denke sie an Pastior, hatte die 56-jährige Rumäniendeutsche erst vor wenigen Tagen im Gespräch mit unserer Redaktion gesagt, an den Freund, der sich das Buch so gewünscht und seine letzten Lebensjahre viel Zeit darin investiert hatte.

Mit Pastior hatte sie die grauenvollen Arbeitslager in der Sowjetunion bereist, jene Gulag, in den der Lyriker gleich nach Kriegsende mit fast 80.000 anderen Rumäniendeutschen deportiert worden war. Herta Müller hat dieses Leid nicht erfahren müssen, aber sie hat an Oskar Pastior die Spuren ablesen können bis hin zu seiner grotesken Pantomime, mit der er ihr noch als 78-Jähriger das richtige Schaufeln vorführte.

Das sei sehr komisch gewesen, sagt Müller. Wie ein Ballett. Und doch auch sehr tragisch, wenn einem Menschen diese erzwungene Bewegung noch immer in den Knochen steckt. "Die Knochen wurden sperrig wie Eisen. Wenn das Fleisch am Körper verschwunden ist, wird einem das Tragen der Knochen zur Last, es zieht dich in den Boden hinein”, heißt es später in "Atemschaukel”. Vielleicht ist Oskar ihr als Vertrauensperson zur späten Vaterfigur geworden. Als Ersatz für den leiblichen Vater, der Angehöriger der Waffen-SS war.

Herta Müller hat anderes Leid erfahren müssen, das Leben unter der Diktatur Ceauecus, das kein Leben war, sondern Unterdrückung, permanente Bespitzelung, Erniedrigung. Wie existiert man als Mitglied einer deutschsprachigen Minderheit in einer abgeschlossenen Enklave, einer dörflichen Mini-Welt, in der alles falsch, vieles böse und das meiste unwirtlich ist?

Und immer ist es das Dorf als Metapher, weil in ihrer Sicht eine Diktatur keine Städte haben kann ­ "weil alles klein ist, wenn es bewacht wird”. Von der einstigen banatschwäbischen Wertewelt bleibt nicht mehr viel. Wie fremd Herta Müller in der Heimat wirklich ist, erlebt sie erst mit ihrer Ausreise Anfang 1984 ins damalige Westberlin.

Der Ortswechsel wird nicht zur Befreiung, wird kein Sieg der jungen Autorin, die sich mit dem Prosaband "Niederungen” aus dem Banat verabschiedet. Herta Müller begreift ihre Ausreise vielmehr als Resignation und Niederlage. Und sie fragt sich, was das für ein Land ist, "das an den Fingern reißt, wenn man den Koffer hebt”. Sie empfindet sich als "Reisende auf einem Bein”, die zwischen Bleiben und Gehen ausharrt, um nicht den Halt zu verlieren.

Damit hat sie ihr Thema gefunden, und wie bei vielen bedeutenden Autoren ist es in diversen Variationen ihr einziges geblieben. Das wendet sie in Gedichten, Erzählungen, Prosaminiaturen und zuletzt in Romanen immer und immer wieder, betrachtet es von allen Seiten, sprachgewaltig und ohne jeden Trost. Ihr Thema ist das finstere Motiv der unmöglichen Heimat, das sich auch in der Fremde nicht aufhellen mag.

Herta Müller rechnet ab mit der Vergangenheit, aber es sind stets Zwischensummen. So klingt auch das, was der junge Held in "Atemschaukel” kurz vor seiner Deportation in den Koffer packt, wie eine karge "Inventur” seines bisherigen Lebens, dem berühmten und gleichnamigen Nachkriegsgedicht von Günter Eich ähnelnd.

So oft Bücher über schlimme Zeiten gern als "Zeugnisse” gelesen werden ­ für Herta Müller ist ihre Literatur in erster Linie eine Überlebensstrategie. Sie fühlt sich nicht als Zeugin, weil sie unter den Radarschirmen der Diktatur lernen musste, wie unwahr das scheinbar Wirkliche sein kann. Für sie ist das Schreiben ­ so komisch das klingt ­ eher ihre Art des Verstummens: "Wenn ich die Bücher anderer Autoren lese, ähnelt das Schreiben dem Reden. Wenn ich selber schreibe, rede ich mir in den eigenen Mund, da ähnelt das Schreiben dem Schweigen.”

Welche Kraft dieses Schreiben bedeutet, kann man nur ahnen. Aber man sieht den großen Einsatz, den Herta Müller aufwendet. Als habe sich die Zeit der Unterdrückung ihrer Person eingeschrieben, sind ihre Gesten sparsam, ist ihre Art, Menschen zu begegnen, immer spürbar zurückhaltend. Es scheint, als gebe es oft eine gute Portion Distanz zwischen ihr und der Welt, eine Art Sicherheitsabstand, der ihr ratsam erscheint und in der Diktatur überlebenswichtig sein konnte.

Die subversive Kraft ihrer Sprache, die auch in der Prosa die Lyrikerin erkennen lässt, hat Herta Müller in Deutschland schon früh erhöhte Aufmerksamkeit und zunehmend Erfolg beschert. Vor Bekanntgabe des Nobelpreises waren bereits 40.000 Exemplare der "Atemschaukel” verkauft; gestern ließ der Hanser-Verlag 100.000 nachdrucken.

Fast alle großen Literaturpreise sind ihr hierzulande zuerkannt worden ­ zuletzt die Ehrengabe der Düsseldorfer Heine-Gesellschaft­, bis auf den Büchner-Preis. Mit dem aber hatte man 2006 postum Oskar Pastior geehrt.

(RP)
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