Eine Frage des Stils Höflichkeit auf der A 57

Leser Kurt F. (Goch): "Oft erlebe ich es, dass Fahrer auf die Autobahn drängen und erwarten, dass man auf die Überholspur ausweicht? Soll man sie zur Mäßigung erziehen?"

Im Straßenverkehr werden pädagogische Gelüste meistens mit der Brech- bzw. Stoßstange durchgesetzt. Nirgendwo sonst tobt sich der Geist der Rechthaberei so sehr aus wie auf der Autobahn. Es wird gehupt mit Ton und Licht, gedrängelt, geschnitten, ausgebremst, gestinkefingert. Von den Flüchen und Beleidigungen, die ungehört verhallen, ganz zu schweigen. Tatsächlich ist die latente Aggressivität des Menschen auf der Autobahn auf beinahe jedem Streckenkilometer zu spüren, ebenso der Irrglaube mancher Fahrer, sie könnten sich Sonderrechte herausnehmen, nur weil sie ein deutlich höhertouriges Auto fahren.

Natürlich reizt es einen, die Leute zur Mäßigung zu erziehen. Die Versuche bringen aber nichts. Der Straßenverkehr taugt nicht zum Nachweis der These, dass der Mensch durch Belehrung reift. Zorn auf Rabauken ist zudem ungesund, Herzfrequenz und Blutdruck schießen nach oben, man wird flattrig, leicht reizbar. Zuchtmeister verlieren solche Zweikämpfe ja auch, wenn sie PS-mäßig nicht mithalten können.

Nein, es gibt nur eine Form, sanfte Korrekturen ins Weltbild jener Leute zu bringen, die eine eingebaute Vorfahrt gebucht zu haben glauben: Man muss ihnen zeigen, dass man mit ihnen rechnet. Man muss sie erwarten und höflich gewähren lassen. An Autobahnauffahrten sollte man bereit sein, vom Gas zu gehen: Bitte fädeln Sie sich ein! Man selbst verliert nichts, vor allem keine Zeit, sondern gewinnt, denn man demonstriert Überlegenheit. Zur Vermeidung von Unfällen ist Demut sogar klüger als nach links auszuweichen, wo mit 195 km/h ein Kraftprotz von hinten naht. Der andere, den man hineinließ, wird vielleicht nachdenklich: Wie, der lässt mich rein? Geht vom Gas? Warum macht der das? Womöglich bedankt er sich. Und winkt durchs Rückfenster.

Andere Fahrer hält der freundliche Kluge für Fremde, die aus dem Käfig ihres Wesens nicht herausfinden. Er selbst treibt stoisch im Haifischbecken des Straßenverkehrs und verwandelt es mit einem wissenden Lächeln in ein Aquarium. Die Fahrt ist das Ziel.

Das hat Stil und dient der StVO.

Ihre Fragen? Bitte unter "Eine Frage des Stils" an kultur@rheinische-post.de

(RP)
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