Marcus Wiebusch "Ich kann halt Songs schreiben"

Wie sein guter Freund Thees Uhlmann hat auch Kettcar-Sänger Marcus Wiebusch ohne seine Band ein Album aufgenommen. Im Interview spricht der 45-Jährige über "Konfetti", seine Haltung zum Punk und die Narbe auf seiner Stirn.

Ich habe Sie kürzlich in einer Rockpalast-Reportage gesehen. Die Narbe auf Ihrer Stirn war mir bisher nie aufgefallen. Woher kommt die?

Wiebusch Da bin ich auf den Tisch gefallen. Mit vier oder so.

Das muss eine sehr große Narbe gewesen sein, wenn sie heute noch so gut zu erkennen ist.

Wiebusch Ich habe geblutet wie ein Schwein.

Meine erste Idee war: Marcus Wiebusch, der alte Punk, hat mal Steine auf Polizisten geworfen und sich dann eine eingefangen.

Wiebusch Kein Kommentar.

Haben Sie wirklich mal so Dinge gemacht, die ein Punk eben macht?

Wiebusch Schon. Wie das eben 1993 war, als man jung und wild war.

Wie lange waren Sie überhaupt Punk?

Wiebusch Ich gehörte zu einer Punkszene, die Punk nicht so begriffen hat, Flaschen gegen Bullenautos zu werfen. Punk war für uns eine Geisteshaltung. Diese Szene hatte einen sehr reflektieren Umgang mit dem Individuum und der Gesellschaft. Wir haben uns überlegt, was falsch läuft in der Gesellschaft, und was man dagegen tun kann.

Wann haben Sie akzeptiert, Marcus Wiebusch zu sein?

Wiebusch Ich versteh die Frage nicht.

Spätestens als Jugendlicher fängt man an, an sich zu zweifeln. Wann wussten Sie, wo Sie hinwollen?

Wiebusch Ganz ehrlich - ich weiß bis heute nicht, wo ich hin will. Es treibt mich immer der Impuls um, neue Dinge zu machen. Es gibt diesen festgelegten Marcus Wiebusch nicht. Zu meiner Identität gehört, dass ich Vater, Ehemann, Fußballfan und Liebhaber guter Popmusik bin. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass ich als Schriftsteller loslegen werde. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass ich ein Drehbuch schreiben werde. Und dass ich ein neues Kettcar-Album machen werde.

Wer aber eine Solo-Platte macht, auf dessen Cover er selbst zu sehen ist, muss mit sich im Reinen sein.

Wiebusch Dass ich auf dem Cover bin, hat auch damit zu tun, dass ich gefestigter bin. Oder sagen wir: Es macht einfach Sinn, die Fresse hinzuhalten. Das ist eben Marcus Wiebusch in der reinsten Form.

Würden Sie denn sagen, dass Sie so was wie angekommen sind?

Wiebusch Ich glaube nicht. Empfinden Sie das Album als gemütliches Ankommen?

Nein, aber Sie sind Vater, Ehemann.

Wiebusch Davon ist ja nichts auf dem Album zu hören. Ich hätte der einsamste Mensch Hamburgs sein und trotzdem dasselbe Album aufnehmen können. Es gibt nur einen einzigen autobiografischen Aspekt auf der Platte. Der Rest sind Songs. Ich kann halt Songs schreiben.

Sie haben auf jeden Fall noch Anliegen. Wie das Thema Homophobie im Fußball im Stück "Der Tag wird kommen". Warum war Ihnen das Lied so wichtig?

Wiebusch Ich kam mal mit einem befreundeten Sportjournalisten ins Gespräch, der mir erzählte, dass er von mehreren homosexuellen Bundesligaprofis weiß und was für ein Höllenleben die führen. Da gab es dann eines Tages im Stadion von St. Pauli wieder eine Solidaritätsbekundung. Mein Bruder, der homosexuell ist, saß im Stadion neben mir, und nach dem Spiel kamen wir ins Diskutieren. Ich meinte: Wir haben doch auch Rassismus aus den Stadien gekriegt. Mein Bruder meinte: Aber warum sollte man sich das antun, sich zu outen? Dann fing ich an zu recherchieren. Ich finde das nach wie vor einen unfassbaren Zustand, dass es keinen offen homosexuell aktiven Fußballprofi gibt. Aber der Tag wird kommen.

Auf dem Cover sind Sie nicht in Ihrer Heimat Hamburg zu sehen, sondern vor einer Berliner Bahn-Haltestelle.

Wiebusch Fast die gesamte Platte ist in Berlin entstanden, weil alle Produzenten dort sitzen. Als ich auf dem Weg vom Essen ins Studio war, habe ich dem Fotografen gesagt: Mach hier mal ein Foto von mir.

Keine Provokation gegen Hamburg?

Wiebusch Ich würde niemals was gegen Hamburg sagen.

SEBASTIAN DALKOWSKI FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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