Charlotte Roche im Interview "Ich mache keine zotigen Witze mehr"

Köln · Charlotte Roche spricht über die Verfilmung ihres Romans "Schoßgebete", über Kindererziehung und die Arbeit am neuen Buch.

 Charlotte Roches Roman "Schoßgebete" wird verfilmt.

Charlotte Roches Roman "Schoßgebete" wird verfilmt.

Foto: dpa

Die Suite im Dorint Hotel in Köln ist gemütlich. Charlotte Roche sitzt auf dem Sofa. Die 36-Jährige trägt einen Hausanzug aus Nicki-Stoff, dazu Ballerinas in Altrosa. Sie lächelt schalkhaft, und über ihrem Kopf meint man Harlekine tanzen zu sehen. "Vorsicht, ich bin stark erkältet", sagt sie und reicht die Hand.

Eben lief die Pressevorführung der Verfilmung ihres Romans "Schoßgebete". Er erzählt von Elizabeth, die mit Tochter und Ehemann in einer Designerhölle vor den Toren der Stadt lebt, gesund isst und Volvo fährt. Sie ist in Therapie, denn auf dem Weg zu ihrer Hochzeit starben drei Angehörige; ihre Mutter wurde schwer verletzt. Sie wollten das Hochzeitskleid zur Trauung bringen. Roche erlebte Ähnliches: 2001 starben drei Brüder auf dem Weg zu ihrer Trauung - auch sie transportierten das Brautkleid.

Es muss schlimm für Sie sein, diesen Film zu sehen.

Charlotte Roche Ich bekam eine Vorführung für mich alleine bei der Produktionsgesellschaft. Ich hatte Angst. Ich habe überlegt, ob ich mir den Film überhaupt angucke. Aber ich finde, wenn man das Buch geschrieben und die Rechte verkauft hat, muss man da durch. Am Ende war es gar nicht so schlimm. Das Buch war nahe an mir dran. Es wurde ein Drehbuch daraus, dann der Film. Das ist zwei Schritte weit weg.

Ihre Erlebnisse wurden abstrahiert.

Roche Genau. Zum Beispiel die Sache mit dem Hochzeitskleid. Sie werden denken: Das muss schlimm sein für Charlotte. Aber ich gucke da hin und denke: Das ist nicht mein Hochzeitskleid, es sieht anders aus. Und ich wurde ja nicht gezwungen, die Filmrechte zu verkaufen.

Ihr Buch ist die Beschreibung eines bestimmten Milieus im Jahr 2011. Sie porträtieren ein neues Bürgertum.

Roche Ich bin stolz, dass Sie das sagen. Ja, ich zeige einen speziellen Typus Familie und Frau. Akademiker, Medienberufe. Die Probleme in dem Buch sind deren Probleme. Diese Menschen denken: Ich muss mich gesund ernähren. Also essen sie plötzlich vegan. Sie stehen unter immensem Druck, das ist unterhaltsam. Das Buch ist eine Satire.

Es kommen die Bücher des Familientherapeuten Jesper Juul vor. Die Figur der Elizabeth holt sich dort Rat in Erziehungsfragen. Wie so viele zurzeit.

Roche Oh, ja.

Juul predigt: Habt eine Haltung.

Roche Und eben das ist total absurd, weil die meisten Eltern keine Haltung haben. Mir geht es ja genau so, und das ist der Witz in meinem Leben: Alles, was ich aus dem Bauch heraus machen würde, wäre falsch.

Wer sagt denn, dass es falsch wäre?

Roche Erziehungsratgeber. Wer ist schon konsequent von Natur aus? Wenn das Baby schreit oder das Kind in der Trotzphase ist, klingeln einem die Ohren. Man wird fast wahnsinnig und gibt nach. Die Erziehungsbücher fordern aber, dass man den Kindern sagen muss, dass Schluss ist. Damit die Kinder wissen, wann Schluss ist. Aber diese Forderung ist etwas Künstliches.

Solche Bücher lieber gar nicht lesen?

Roche Doch. Für das Kind ist es besser, wenn Eltern Erziehungsbücher lesen. Mir geht es auch in Beziehungen so. Ich kann keine Beziehung aus dem Bauch heraus führen. Ich mache automatisch das Gegenteil von richtig. Es wäre eine Katastrophe, wenn ich alleine entscheiden müsste, was zu tun ist.

Wer hilft Ihnen denn? Lesen Sie auch Beziehungsratgeber?

Roche Nee. Ich bin in Therapie.

Ach so. Und da . . .

Roche . . . da lernt man das.

Über solche Details, auf die es in Ihrem Buch ankommt, geht der Film hinweg. Das ist schade.

Roche Ich verkaufe die Rechte an jemanden, weil mich berührt, was er sagt. In diesem Fall Oliver Berben. Er traf sich mit mir und erzählte, was das Buch mit seinem Leben zu tun hat. Er las aus meinem Buch vor. Da wusste ich, der kriegt die Rechte.

Weil er Ihnen schmeichelte?

Roche Nein. Weil es ihn berührt hat. Der hat die Hosen runtergelassen und gesagt, was ihn persönlich betrifft. Am Ende ist es ja immer so, dass etwas fehlt. Dafür wird etwas anderes verstärkt.

Der feministische Aspekt fehlt auch.

Roche (lacht) Der hat halt den Leuten, die den Film machten, nicht gefallen.

Als das Buch erschien, mochte nicht jeder erkennen, dass es etwas mit Feminismus zu tun haben könnte.

Roche Die Leute haben starke Vorstellungen davon, was eine Feministin ist, wie sie sich zu verhalten hat.

Sie beschreiben, wie eine Frau mit Ihrem Ehemann ins Bordell geht.

Roche Das ist die lustigste Szene im Film. Wie das Paar auf dem Bett sitzt und auf die Prostituierte wartet. Sie sind aufgeregt. Sie wollen sogar etwas zu trinken bestellen für die Prostituierte. Das rührt mich, weil sich ja nicht alle so gut benehmen im Puff. Obwohl sie es sollten.

Schreiben Sie an etwas Neuem?

Roche Ja. Aber ich bin langsam.

Woran schreiben Sie?

Roche Das darf ich nicht sagen.

Wann wird es erscheinen?

Roche (zuckt mit den Schultern)

Kein Druck vom Verlag?

Roche Ich werde regelmäßig per SMS gefragt, wie es mir geht. Und das bedeutet: Wann kommt endlich Dein Buch, Du faule Sau! Ich schreibe zurück: Es ist noch nicht fertig.

Kennen Sie den Briefwechsel von Siegfried Unseld und Wolfgang Koeppen?

Roche Wusste ich, dass das kommt. Ja. Mich interessiert die Beziehung zwischen Autor und Verleger. Der Verleger ist wie der Leiter einer Klinik für psychisch Gestörte. Ein Autor braucht Druck, der andere kann mit Druck nicht umgehen, und jeder ist empfindlich. Verhält sich der Verleger falsch: Zack, Schreibblockade.

Was lesen Sie?

Roche Ich lese alle Bücher von Alice Munro. Jedes einzelne. Hintereinanderweg. Mir fehlen noch zweieinhalb. Die Frau ist der Wahnsinn. Aber ich will nicht versuchen zu schreiben wie sie. Ich bin ja froh, wenn ich schreiben kann, wie ich schreibe.

Für viele waren Sie früher wichtiger Ratgeber in Sachen neue Musik. Verfolgen Sie heute überhaupt noch, was auf dem Markt passiert?

Roche Wenn ich lange eine Sache gemacht habe, ist der Antrieb bei mir irgendwann weg. Ich will heute nicht mehr mit neuer Musik belästigt werden. Und nach dem Roman "Feuchtgebiete" habe ich keine Zotenwitze mehr gemacht. Früher war ich privat total obszön. Aber nach dem Buch habe ich damit aufgehört. Es wird niemals jemand in meinem Freundeskreis mehr Zotenwitze von mir hören. Es ist Feierabend.

(RP)
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