Sven Regener "Ich wäre gerne wie mein Held Karl Schmidt"

Frankfurt/M. · Nach den drei Kultromanen lässt Sven Regener nun Lehmanns besten Freund zu Wort kommen.

Seine drei Romane über Herrn Lehmann haben Sven Regener berühmt gemacht. Nun ist Lehmanns bester Kumpel wieder zurück: Am Tag des Berliner Mauerfalls erlitt Karl Schmidt einen Nervenzusammenbruch und wurde eingeliefert. Jahre später trifft er zufällig alte Kumpels wieder, die in der Zwischenzeit mit Techno zu Ruhm und Reichtum kamen. Sie gehen gemeinsam auf DJ-Tour — ihr Name: "Magical Mystery", wie auch der Titel des neuen Regener-Romans (Galiani, 509 S., 22,99 Euro). Der ist bereits ein Kultbuch: In kurzer Zeit wurden 65 000 Exemplare verkauft.

Sie wählen erstmals die Ich-Perspektive, aber das könnte auch problematisch werden, weil viele jetzt denken: Ach ja, so ist also der Herr Regener.

regener Richtig. Andererseits haben die Leute schon bei den ersten Romanen mich mit Frank Lehmann identifiziert; streng genommen dürfte die Gefahr jetzt bei Karl Schmidt darum nicht so groß sein. Das Spannende für mich war: Auch ein Ich-Erzähler gibt nicht alles von sich preis. Auch eine Ich-Perspektive ist nie etwas Ehrliches.

Könnte es sein, dass Schmidt, der Ich-Erzähler, schon heimlicher Erzähler der Lehmann-Romane war?

Regener Daran hätte ich jetzt nicht gedacht. Aber die Idee ist nicht schlecht; die Möglichkeit besteht jedenfalls.

Ist Schmidt als Romanheld plötzlich wieder aufgetaucht, oder war er nie in Vergessenheit geraten?

Regener Man fragt sich ja manchmal: Kann ich überhaupt noch einen Roman schreiben, oder habe ich mein Pulver schon verschossen? Aber ich hatte früh das Gefühl, dass in der Geschichte noch etwas offen ist. Ich habe mich oft gefragt, was aus dem geworden ist, den man in die Klapsmühle gesteckt hat.

Und das über eine Strecke von gut 500 Seiten erzählt — dazu muss man epischen Atem haben.

Regener Ich hatte nicht die Absicht, dass es so lang wird. Aber man muss die Geschichte nehmen, wie sie kommt. Und ich schreibe meine Bücher ja von vorne einfach nach hinten — ohne große Gliederung. Im zweiten Teil des neuen Romans wird dann der Tourplan vorgestellt; das war eigentlich meine Gliederung, die ich benutzt habe.

Wer ist Ihnen denn näher: Frank Lehmann oder Karl Schmidt?

regener Ich glaube, Frank Lehmann ist ein bisschen mehr wie ich. Lehmann hat etwa 40 bis 50 Prozent von mir und Karl Schmidt vielleicht so 30 bis 40 Prozent. Aber Karl Schmidt ist einer, der ich gerne wäre. Das weiß ich mit diesem Roman jetzt besser. Frank Lehmann hat sehr viel von dem bekommen, was bei mir auch da ist; und Karl Schmidt hat sehr viel von dem bekommen, was ich gerne hätte — wie die Leichtigkeit und Direktheit.

Wie wichtig ist es, dass Karl Schmidt ausgerechnet am Tag des Mauerfalls in die Klapse kommt?

regener Sehr. Denn dadurch hat er wirklich nicht erleben können, wie Rave und Techno durch die Decke gingen. Das ist charmant. Er hat die riesige Aufbruchsstimmung verpasst; so etwas gibt es vielleicht nur alle 30 oder 40 Jahre. Alles, was damals rausgebracht wurde, war Gold. Die Leute brachten die Platte von irgendeinem Penner raus, egal: Sie wurde Gold. Ich habe das in den 80er Jahren beim Punk miterlebt.

Sind wir jetzt eher in einer Phase der Ernüchterung?

regener Ich weiß es nicht. Die Leute neigen ja oft zum Kulturpessimismus. Ich bin dafür unempfänglich. Man hat sich früher auch mehr amüsiert, man war jünger, alles war einfacher, und die Leber spielte noch mit — und dann fällt man generelle Urteile, meint in Wahrheit aber sich selbst. Aber wenn ich einen Roman schreibe, der 1995 spielt, dann erzähle ich nichts Allgemeingültiges über diese Zeit. Aber ich kann sagen, dass dieser Mensch in den paar Wochen seine Zeit so und so erlebt hat.

(RP)
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