Serie Leben im Kloster (3) Im evangelischen Kloster von Selbitz

Selbitz · Luther bekämpfte das Mönchtum seiner Zeit. Doch die Ordensidee ist auch unter Lutheranern wieder aufgelebt – etwa in Bayern.

 Die Ordensleute vom Petersberg in Sachsen-Anhalt (v. l.): Schwester Christa, Bruder Johannes, Schwester Martha, Bruder Markus, Schwester Edith.

Die Ordensleute vom Petersberg in Sachsen-Anhalt (v. l.): Schwester Christa, Bruder Johannes, Schwester Martha, Bruder Markus, Schwester Edith.

Foto: RP Andreas Krebs

Luther bekämpfte das Mönchtum seiner Zeit. Doch die Ordensidee ist auch unter Lutheranern wieder aufgelebt — etwa in Bayern.

 „Man spürt, da passt etwas, da möchte ich mein Leben für einsetzen.“Schwester Elise, 27

„Man spürt, da passt etwas, da möchte ich mein Leben für einsetzen.“Schwester Elise, 27

Foto: RP Andreas Krebs

In der Nacht hat es geschneit. Nun ruht der weiße Niederschlag schwer auf der Landschaft, rundet alles, besänftigt die Geräusche. Nur das Gelächter aus dem Klostergarten bricht die Stille. Schwester Constanze und Schwester Barbara versuchen, Kordeln aus dem Gemüsebeet zu entwirren. Der Erfolg ist mäßig, die Belustigung groß. Die beiden Schwestern tragen Arbeitshosen, Gummistiefel, Parka. Ihre Wangen sind rot von der Kälte, die steifen Finger auch. "Der Winter hat uns überrascht", sagt Schwester Constanze und kämpft weiter mit den Stricken, "jetzt ist die Saison schon vorbei, dabei arbeite ich doch so gerne hier im Garten, da fühle ich mich unserem Schöpfer so nahe."

Constanze hat das gefehlt in ihrem alten Leben als Pädagogin: die Jahreszeiten zu spüren, sich als Teil der Natur zu empfinden, als Gottes Geschöpf. Darum hat sie sich nach einem Dasein gesehnt, in dem sie sich auf diese Dinge konzentrieren könnte, nach einem Leben im Kloster. Sie dachte nur lange, dass es das gar nicht gibt — für Protestanten.

Nach dem Krieg setzte das Umdenken ein

Die Gnade Gottes lässt sich nicht verdienen durch ein frommes Leben, so hat es Martin Luther gesehen. Die Vorstellung, Menschen könnten einen besonderen Heilsstand erwerben, indem sie nach klösterlicher Tradition in Armut, Keuschheit und Gehorsam lebten, lehnte er ab. So kam es im Zuge der Reformation zur Auflösung vieler Klöster. Doch durch die Erschütterungen des Zweiten Weltkriegs setzte ein Umdenken ein. Evangelische Christen sahen im Ordensleben nun eine Möglichkeit, sich ganz dem Gebet zu widmen. Sie gründeten geistliche Gemeinschaften, legten die alten Gelübde ab.

So auch Hanna und Walter Hümmer, zwei Pfarrersleut aus dem oberfränkischen Industriestädtchen Schwarzenbach. Sie hatten Menschen um sich geschart, die mit ihnen ein Leben als Gemeinschaft wagen wollten. Am Karfreitag 1948 versprachen sie sich feierlich, gemeinsam diesen Weg zu gehen. Sechs Jahre später begann die Christusbruderschaft im bayerischen Selbitz mit dem Bau ihres ersten Ordenshauses. Heute leben dort 115 Schwestern — eine von ihnen ist die Novizin Constanze Günther, 41 Jahre alt, geboren und aufgewachsen auf einem Hof im Erzgebirge, jüngstes von vier Geschwistern.

Leiden in der Diktatur

Jetzt, nach der Gartenarbeit, trägt sie ein Ordenskleid, weißen Schleier und eine Jacke aus Schurwolle. Die hat eine Mitschwester gestrickt. Munter bittet Schwester Constanze ins Wohnzimmer für den Ordensnachwuchs. In einer Ecke steht ein Regal mit Büchern und Spielen, davor eine Gitarre. Auf dem Couchtisch liegen ein Holzkreuz und eine Dornenkrone aus getrockneten Ranken, das Zeichen des Ordens. Daneben brennt eine Kerze. Constanze und ihre Mitschwester Elise sind im zweiten Novizenjahr, arbeiten im Haus und bekommen Unterricht in Fächern wie Ordensgeschichte oder Ökumene. In einem Jahr werden sie die Profess ablegen — das Gelübde, das sie fest an die Regeln des klösterlichen Lebens bindet. Wenn das ihr endgültiger Wunsch ist. Und wenn die Gemeinschaft es will.

"Ich hatte harte Diskussionen mit meinen Eltern, ob das Klosterleben wirklich meine Berufung ist", erzählt Elise. Sie ist 27, stammt aus einer Pfarrersfamilie in Halle, hat Kirchenmusik studiert. "Man spürt im Herzen: Da passt etwas, dafür möchte ich mein Leben einsetzen", sagt sie. "Das haben meine Eltern irgendwann verstanden, und nun können sie sich auch an mir freuen." Wie es war, als aktiver Christ in der DDR zu leben, hat Elise nicht bewusst erlebt; zur Zeit der Wende war sie vier. Aber ihre Eltern und Großeltern haben unter der Diktatur gelitten, davon wird daheim oft erzählt. "Dass alle die Verhöre überstanden haben, betrachten wir als Wunder", sagt Elise.

Bei Entscheidungen wird abgestimmt

Ihre Familie ist gerade im Aufbruch, die drei jüngeren Geschwister verlassen das Haus, die Eltern sind umgezogen. "Alle verstreuen sich", sagt Elise, "ich hab's gut, ich habe schon ein neues Zuhause."

Entscheidungen werden in diesem Zuhause demokratisch getroffen bei jährlichen Vollversammlungen. Die Priorin, Schwester Anna-Maria, macht auch manchmal Umfragen. Etwa darüber, ob die Schwestern weiter Tracht tragen wollen. "Ich muss keinen Papst oder Bischof fragen, bin an kein Kirchenrecht gebunden", sagt die Priorin, "die Kommunität entscheidet selbst über ihr geistiges Leben — natürlich birgt das manchmal auch Konflikte."

An einem solchen Konflikt ist die Gemeinschaft Anfang der 80er Jahre fast zerbrochen. Nach dem Tod der Ordensgründer ging es um die weitere Ausrichtung der Christusbruderschaft. Damals hat sich die Kommunität gespalten. "Das hat uns an den Rand unserer Existenz gebracht", sagt die Priorin, "aber wir haben mit Seelsorgern und Therapeuten die Gründe angeschaut, das hat die Gemeinschaft geläutert." Allerdings leben seit der Krise nur noch sechs Brüder im Orden. Zwei davon knapp drei Autostunden entfernt auf dem Petersberg in Sachsen-Anhalt.

Nicht mal jeder Zehnte zählt zur Kirche

Mächtig ragt die Basilika der mittelalterlichen Klosteranlage dort über die Baumwipfel. Bruder Johannes schließt den Seiteneingang auf. Es geht ein paar Stufen hinauf in einen engen Gang, dann hinab in die Kirche. Die ist leer, wirkt umso imposanter mit ihren wuchtigen Säulen, runden Bögen. Bruder Johannes zündet auf dem Altar die Kerzen an, nun kommen auch Bruder Markus und drei Schwestern in den Altarraum, setzen sich auf die einzigen Stühle entlang der Wand. "Du Abglanz von des Vaters Pracht", singt Johannes. Es ist kalt, das leere Kirchenschiff liegt im Dunkeln, das Lob Gottes stimmt der kleine evangelische Konvent an diesem Morgen alleine an.

"In dieser Gegend ist die Kirchenzugehörigkeit unter zehn Prozent gerutscht", erzählt Bruder Johannes später im Pfarrhaus beim heißen Kaffee. "Wir dürfen die Schwelle also nicht hochlegen, wenn wir Menschen für die Kirche zurückgewinnen wollen. Das ist aber eine gewaltige Aufgabe, dafür fühle ich mich manchmal viel zu klein." Bruder Johannes ist 68, Mitbruder Markus 75. Zum Kloster gehört auch noch ein Gästehaus, in dem die Christusbruderschaft Einkehrtage anbietet. Viel Arbeit für die Brüder — zuletzt ein wenig zu viel. Darum baten sie in Selbitz um Unterstützung.

Im Christentum sammelte sich der Widerstand

Seit dem Wochenende ist die nun da. Die Mitschwestern Christa, Edith und Martha sind aus dem Mutterhaus gekommen, haben die erste Etage des alten Pfarrhauses renoviert und dort Quartier bezogen. Alle drei Schwestern sind über 60 — und freuen sich auf den Neuanfang. "Da war etwas, das mich hierher gezogen hat", sagt Schwester Christa, "ich bin jetzt 62, da muss man solche Entscheidungen sehr aufmerksam treffen und auf den Ruf Gottes in seinem Inneren hören." Die Gäste auf dem Petersberg werden die Schwestern und Brüder nun gemeinsam begleiten und sich weiter um Kontakt zu den Einheimischen bemühen. "Menschen finden nur in die Kirche zurück, wenn sie Christen erleben, die glaubwürdig sind", sagt Bruder Johannes. "Ich glaube aber, die Leute mögen uns." Gerade erst haben Nachbarn dem Kloster Kaninchen vorbeigebracht. "Wir versuchen hier, einfach mit den Menschen zu leben", sagt Bruder Markus, "Vertrauen aufzubauen, ist das Wichtigste."

Zu DDR-Zeiten trafen sich an Christi Himmelfahrt bis zu 5000 Christen auf dem Petersberg. Sie wollten ein Zeichen setzen gegen den sozialistischen Staat, der den Feiertag abgeschafft hatte. "Das waren Glaubenstreffen", erzählt Bruder Johannes. Am Ende hätten die Menschen immer das Lied gesungen: "Herr wir stehen Hand in Hand." Ein Kampflied sei das gewesen. "Da stand man zusammen", sagt Johannes. Es klingt wehmütig. Heute ringt seine Kirche mit der Gleichgültigkeit. Dagegen gibt es kein Kampflied. Nur zwei Brüder und drei Schwestern auf einem Berg, den sie nicht aufgeben wollen.

Die Novizin Constanze war 18, als die DDR zusammenbrach. Ihre Mitschüler seien damals orientierungslos gewesen, erzählt sie, "mein Halt war mein Glaube". Trotzdem hat es Jahre gedauert, bis sie ihrer Sehnsucht nach klösterlichem Leben nachgegeben hat. "Der Ruf war da, ich musste nur einstimmen", sagt Constanze, "man spürt dann, dass das stimmig ist, man wird dann innerlich ganz klar."

Es ist dämmrig geworden im Wohnzimmer der Novizen. Jetzt leuchtet die Kerze auf dem Couchtisch, doch die Frauen müssen los zum Abendgebet. Sie sind heute Vorsängerinnen in der Gemeinschaft, die ihre neue Familie ist.

(RP/pst/csi)
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