Gregor Schneider Im Labyrinth der Gegenwart

Köln · Der Künstler Gregor Schneider hat dem Schauspiel Köln ein Labyrinth gebaut. Darin tastet sich der Zuschauer durch schwarze Gänge und menschenleere Zimmer - und erlebt ein Gefühl der Verlorenheit, das typisch ist für die Moderne.

 Der Künstler Gregor Schneider.

Der Künstler Gregor Schneider.

Foto: AP

Ein schwarzer Gang. Absolute Dunkelheit. Der Besucher tastet sich an der Filzwand entlang, um eine Ecke, noch eine Ecke. Nun stößt er vor eine Tür. Er betritt ein Bad, die Dusche ist verschlossen, wo mal das Waschbecken hing, ragen tote Anschlüsse in den Raum. Darüber ein Spiegel. Beim Umschauen wird für einen gespenstischen Moment das Ich zum Gegenüber. Es tropft. Leise. Stetig. Als wäre das hier wirklich ein Badezimmer.

Gregor Schneider ist der Architekt der Angst. Für das Schauspiel Köln hat er ein System aus schwarzen Gängen und hellen Zimmern in die Theaterhalle Kalk gebaut. Der Zuschauer tastet sich allein voran, durch die geknickten Gänge, die ihn vor die nächste Tür führen. Dahinter wieder das gleiche Zimmer, die gleiche Dusche, der gleiche Spiegel, das gleiche Tropfen.

Bald ist der Sinn für die Himmelsrichtungen verloren. Beklemmung stellt sich ein. Weil dieses Labyrinth in die Eingeweide eines trostlosen Lebens führt. Dazu die Foltertropfen. Sie höhlen den Stein, betäuben das Bewusstsein, bis der Mensch sein stumpfes Leben für die einzig mögliche Wirklichkeit hält.

In einem Mehrfamilienhaus in Rheydt hat Gregor Schneider Mitte der 1980er Jahre begonnen, das Gefühl der Beklemmung in einem bürgerlichen Reihenhaus in die Sprache der Kunst zu übersetzen, indem er eine künstliche Innenwelt in das Haus hineinbaute. Auch in seinem "Haus u r" wiederholte er die Nüchternheit der ursprünglichen Räume und diese Verdoppelung, dieses verrückte Innenleben, schafft ein Gefühl der Verunsicherung.

Denn durch die falschen Wände, doppelten Böden, Fenster ins Nichts sind sinnlose Zimmer, unheimliche Zwischenräume entstanden - eine vorgetäuschte Wirklichkeit. Darin verliert der Besucher bald das Zutrauen in den Raum. Wer zu Gast ist bei Gregor Schneider, kann sich nicht sicher sein, dass eine Tür eine Tür ist. Und der Boden unter seinen Füßen gewiss.

Schneiders Werk ist Irritation, gebaut aus unscheinbarem Material, ist Provokation mit Unschuldsmiene. So wie die Korridore und Zellen mit Schallschutzwänden, die Schneider gerade in Düsseldorf in die Kunstsammlung NRW gezimmert hat. Spätestens der Titel nimmt der Rauminstallation die Unschuld: "Weiße Folter" heißt das Werk, und es stößt die Besucher in die bedrohliche Isoliertheit von Folterzellen.

Schneider schafft Empfindungen. Und es ist egal, ob er seine Labyrinthe aus Alltagsmaterial in ein Museum stellt oder wie jetzt in Köln auf eine Bühne. Er macht sein Publikum zu Akteuren, doch ist das nur vordergründig eine Ermächtigung. In Wirklichkeit bekommt es der Besucher bei Schneider mit der Ohnmacht zu tun. Es fehlt ihm an Wissen, um sich orientieren, seine Wege bestimmen zu können. Er ist dem Künstler ausgeliefert, dem Bauherrn der künstlichen Fassaden, dem Regisseur der hybriden Welten, in denen alles möglich ist.

So inszeniert Schneiders Werk das Grundgefühl der Moderne: die Unsicherheit, die Verlorenheit, die Ohnmacht des neu geschaffenen Individuums. Dabei könnte die Gegenwart eine große Spielwiese sein, ein von vielen Einengungen befreiter Raum, in dem der Mensch auf die Suche nach sich selbst gehen könnte. Doch in Wahrheit plagt er sich mit Ungewissheiten, weiß nicht, welche Fähigkeit ihm eine Lebensgrundlage verschaffen, wie lange er seinen Platz im sozialen Gefüge verteidigen kann und welche Halbwertszeiten private Bindungen in seinem Leben besitzen. Freiheit bedeutet eben immer auch Verlust von Sicherheit, von Orientierung, von Halt. Und das Echo aus dem Reich der Empfindungen ist die Angst.

Wie dem Besucher der bedrohlichen Schneider-Konstruktionen, mangelt es dem modernen Individuum an Wissen um seine Welt, an Überblick, auch wenn es überschüttet wird mit Informationen. Vieles davon sind nur Reize, die hektisch machen, die Orientierung noch erschweren.

Das hat nichts damit zu tun, dass der Einzelne modernen Anforderungen nicht genügte. Die Überforderung liegt im System. Die Welt ist komplex geworden, das Leben unstet. Dem Zeitgenossen bleibt nur, flexibel zu bleiben, seine Anpassungsfähigkeit zu trainieren, sein Gewissheitsbedürfnis herunterzuschrauben.

Und so tastet sich der postmoderne Einzelne durch sein Leben wie durch eine Schneider-Kulisse, die aussieht wie die Wirklichkeit. Er öffnet manche Tür, manches Fenster und schaut doch nicht hinaus, kriecht in Gänge, die bei Schneider zu Schlünden werden. Zu Tunneln ins Nichts, wie der schwarze Eingang, den er für das Museum Abteiberg in Mönchengladbach schuf. Der flexible Mensch überwindet seine Scheu vor der Ungewissheit, betritt den schwarzen Gang, vertraut darauf, dass er sich schon anpassen wird an das, was ihn in der Dunkelheit erwartet.

Das moderne Labyrinth ist also kein Irrgarten mit gepflegten Hecken, aus dem man den Ausweg finden kann, wenn man sich nur auf die Zehenspitzen stellt oder logisch vorgeht, Wege systematisch abschreitet, im Kopf eine Karte entwirft. Der Irrgarten früherer Tage ist ein Rätsel, das zu lösen ist. Das moderne Labyrinth ist ein Zustand. Es besteht aus unscheinbaren Räumen wie in Köln, die aussehen wie die vertraute Umgebung. Doch es sind virtuelle Realitäten, in denen der Mensch von Zimmer zu Zimmer rennt und doch nicht vorankommt. Und womöglich aufhört, das überhaupt zu bemerken.

Und dann bewegt sich der Irrläufer der Gegenwart scheinbar souverän durch eine entfremdete Welt, verfängt sich im Immergleichen, in der Stupidität eines diktierten Lebens. Und nur manchmal steigt in ihm Beklemmung auf. Dann, wenn er auf die Zwischenräume stößt, die dunklen Verbindungsgänge, die das Konstrukt auffliegen lassen, durch den harten Bruch, die Schwarzblende. Es sind die Krisen, die Menschen wacher auf ihr Leben blicken lassen.

Gregor Schneider hält Neugier für einen Antrieb seines Publikums, sich in seine Welten zu begeben. Neugier auch auf die eigenen Empfindungen im Angesicht des Nichts. Angstlust also.

In der Tat scheint die Neugier selbst dem verunsicherten Zeitgenossen nicht auszugehen. Neugier ist eine Verheißung. Sie lockt Alice in das Wunderland. Und obwohl auch dem Neugierigen immer das nötige Wissen fehlt, um aus seiner Unternehmung eine sichere Reise zu machen, kann er der Versuchung nicht widerstehen.

Denn der Lohn könnte Erlösung sein. Es lockt die Aussicht auf Entdeckungen, die dem Einzelnen helfen, den Zumutungen seiner Zeit zu begegnen. Besser als die anderen. Besser als die Menschheit zuvor. So sind Neugierige in abenteuerliche Flugapparate geklettert und haben solange Bruchlandungen erlitten, bis sie schnell und frei wurden wie die Vögel. Neugier ist das Triebmittel des Fortschritts, das Gift gegen die Lähmung der Angst. Neugier ist der letzte unschuldige Impuls der Moderne.

Und sie ist Antrieb der Kunst. So werden die Neugierigen nun auch an die Neuerburgstraße in Köln pilgern, in das neueste Konstrukt des Gregor Schneider. Sie werden in den Hallen eines Theaters ein Stück erleben, ohne Worte, ohne Handlung, das ihnen doch von der Gegenwart erzählt. Durch provozierte Beklemmung. Manchmal ein heilsames Gefühl.

(RP)
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