Düsseldorf Im Polit-Poker sind Frauen die Kriegsherren

Düsseldorf · Die Uraufführung von "Jalta" im Düsseldorfer Schauspielhaus ist ein schwerer Geschichtsbrocken. Der Schwede Lucas Svensson nennt sein Werk eine Komödie. In die dokumentarischen Protokolle der "Jalta"-Konferenz von 1945 hat er Fremdtexte eingebaut. Am Ende freundlicher Applaus.

Grau ist die Farbe des Krieges. Die Uniformen der deutschen Wehrmacht waren grau. Und überall, wo Trümmerfelder rauchten, färbte sich der Himmel grau.

Im Februar 1945 war der Zweite Weltkrieg für Deutschland schon so gut wie verloren. Die bleierne Zeit nach einer hoffnungslosen Niederlage lastete schwer auf dem Land. An jenen Februar 1945 erinnert nun eine Uraufführung im Düsseldorfer Schauspielhaus. Im mondänen Badeort Jalta auf der Krim trafen sich die drei mächtigsten Männer der Welt, um die Neuordnung dieser Welt zu verhandeln, der Engländer Churchill, der Amerikaner Roosevelt und der Russe Stalin. Was aus Deutschland werden würde nach Kriegsende, wurde auf der Konferenz von Jalta beschlossen, auch das Schicksal Polens. Und auf Jalta nahm die Idee Fahrt auf, eine Organisation der Vereinten Nationen zu gründen.

Schlicht "Jalta" heißt das Stück des schwedischen Autors Lucas Svensson (Jahrgang 1973), das in der Inszenierung des Ex-Intendanten Staffan Valdemar Holm am Samstagabend herauskam. "Jalta" liefert einen sprachlich montierten Exkurs in die jüngere Geschichte – mit dokumentarischen Protokollauszügen jener Zeit wurden Bibel- sowie Astrid-Lindgren-Zitate verwoben. Der Autor nennt es Komödie oder Polit-Farce, dem Humoristischen auf die Spur zu kommen, fällt schwer. Es ist ein zäher Brocken von drei Stunden, in dem mehr viel mehr gesprochen als miteinander gespielt wird. Eine Verortung findet nicht statt, Zeitangaben fehlen, der Zuschauer sollte bereits gut vorbereitet in die Vorstellung kommen.

Das einzige Bühnenbild ist ein riesiger Konferenzsaal, grau gehalten wie Tische, Stühle und alle Kostüme. Selbst die Erdkugel, die viel kleiner als ein Stuhl ist und wie ein Spielball auf der Landkarte der Mächtigen von links nach rechts wechselt, ist grau. Der Krieg und die Aufgabe der Neuordnung Europas ist allgegenwärtig in den Gesprächen der drei Staatslenker und Kriegsherren. Doch bleibt jeder seiner eigenen Ideologie verhaftet und in seinen Befindlichkeiten gefangen. Churchill ist der Wertkonservative mit fast kindischen Anwandlungen, Roosevelt der Anhänger des Liberalismus mit gestörtem Selbstwertgefühl, da er aufgrund einer Kinderlähmung im Rollstuhl sitzt. Stalin ist knallharter Imperialist mit Mordlust. Während sie trinken, rauchen, Austern und Hummer verspeisen, verhandeln sie über Gebiete und Schicksale. Ob man weitere 50 000 Deutsche an die Mauer stellt und sie abknallt, wird erörtert; man einigt sich drauf, es zu lassen. Dafür wird Dresden geopfert werden.

Es fallen erschütternde Sätze in diesem Stück, die die ältere Generation härter treffen als jüngere Leute.

Doch offenbar bereitet der Krieg auf dieser Ebene der Macht, beim kaltschnäuzigen Machtpoker und egomanischen Gehabe, auch gute Laune. Die geistige Klammer des sprachlich nüchtern und recht unpoetisch ausformulierten Stoffes bildet das Thema der Demokratie – am Ende wird gefragt: Wer sind die Freunde der Demokratie? Es heißt: Der einfache Mann.

Beim Lesen des Textes gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Weltregenten als Männer schwächeln. Doch Regisseur Holm besetzt sie in Absprache mit dem Autor weiblich ebenso wie die ihnen jeweils zugeordneten Adjutanten Smith, Harry und Lavrentij. Einzig der dienstbare Geist ist ein Mann, Winfried Küppers trägt auf und räumt ab. Einmal bricht sein ganzes Kriegstrauma kurz aus ihm heraus, der Mann gibt Erschütterung preis, zeigt Gefühl.

Die Frauen spielen die kalten Schachfiguren, doch in ihren Attributen bleiben sie weiblich. Sie tragen enge Kostüme und die Haare hochgesteckt wie in den 1945er Jahren: Imogen Kogge ist ein berstender, schillernder Churchill, Karin Pfammatter ein zappeliger, doch zäher Roosevelt, Stina Ekblad der boshafte, kaltlächelnde Stalin. Die Adjutanten wieseln um ihre Herren herum, ziehen die Fäden mit und werden doch nicht in die Poker-Runde reingelassen: Betty Freudenberg, Xenia Noetzelmann und Elena Schmidt zeichnen fein zwischen gerissen und gewitzt.

Warum dieses Stück in den Hauptrollen ausschließlich mit Frauen besetzt wurde, bleibt offen. Vielleicht wollte Regisseur Holm zeigen, welches Potenzial in Frauen steckt, dass ihnen politisches Kalkül nicht abgeht – wie Margret Thatcher und Angela Merkel es vormachen.

Die drei Stunden von "Jalta" zeigen, wie Geschichte an Köpfen und Interessen hängt, wie weit und wie eng Gestaltungsräume sind, wie sich Macht und Ohnmacht im Vielklang der Nationen bedingen. In "Jalta" prallen Ideen und Ideologien aufeinander. Am Ende erhebt jeder der drei Mächtigen das Glas, spricht noch einen Toast. Dazwischen ertönt "Lili Marleen", das Lied, das alle Soldaten im Krieg ein wenig verbunden hat. Im Original gibt es am Ende des Textes noch einen Hinweis auf eine Goebbels-Rede; diese hat Holm gekappt.

Der Applaus ist freundlich, ohne Buhs. Aber er bleibt verhalten.

(RP)
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