Düsseldorf Das Lied der Grünen

Düsseldorf · Die Partei hat über ihr Lieblingslied abstimmen lassen: Es gewann "Imagine". Das sagt viel über das Verhältnis von Politik und Popmusik.

Die Grünen haben sich auf ihrem Parteitag am vergangenen Wochenende etwas Lustiges einfallen lassen. Weil ja die Technik dem Gelingen einer Konferenz so oft im Wege steht, wollten sie vorab schon mal das elektronische Abstimmungsverfahren testen, mit dem dann später der neue Vorstand bestimmt werden sollte. Sicher ist sicher. Für den Probelauf stellten sie eine Auswahl an Musikstücken zusammen und ließen die Delegierten spaßeshalber aus dem Angebot das Lieblingslied der Grünen wählen. Es gewann "Imagine" von John Lennon, sozusagen der Friedensnobelpreisträger unter den Rocksongs. Der passt einerseits zum Selbstverständnis der Partei, andererseits ist er doch ganz schön ernst und getragen. Wie herrlich wäre es hingegen gewesen, wenn sie sich für eine der selbstironischen Alternativen entschieden hätten: "Mein Freund, der Baum" etwa, "Neue Männer braucht das Land" oder - das wäre überhaupt das Tollste gewesen - "Karl, der Käfer".

Die Parteien und der Pop, das ist eine knifflige Beziehung, gerade hierzulande. Auf Parteitagen wird zwar gern gesungen - bei der CDU die Nationalhymne, bei der SPD auch mal die "Internationale". Auch war der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder bekanntlich ganz dicke mit Klaus Meine von den Scorpions. Sigmar Gabriel wurde zum Pop-Beauftragten ernannt und fortan "Siggi Pop" gerufen. Und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg besaß ein T-Shirt von AC/DC. Das Augenzwinkern, das Kokette und Grenzüberschreitende allerdings, das dem Pop eingeschrieben ist, übersieht man zumeist.

Beleg dafür ist die Umfrage, die der Streamingdienst Deezer vor der vergangenen Bundestagswahl machte. Die Parteien wurden befragt, welche Lieder ihren Mitgliedern am liebsten seien. Aus den Antworten wurden Playlists zusammengestellt. Die CDU nannte "Atemlos" von Helene Fischer und "Auf uns" von Andreas Bourani. Und die FDP "Viva La Vida" von Coldplay. Vor dem inneren Auge sieht man nun Kommunikationsstrategen in Parteizentralen darüber brüten, welche Titel man denn bloß nennt: "Die Fischer, größte Übereinstimmung mit dem Volk!", ruft einer. "Bingo!" ein anderer. Viel charmanter wäre indes gewesen, man hätte für Angela Merkel "I'm Still Standing" von Elton John gewählt. Und für Christian Lindner "Wannabe" von den Spice Girls: "If you want my future / Forget my past". Für Martin Schulz hätte sich "I Believe I Can Fly" von R. Kelly geeignet, nach der Wahl dann allerdings eher "Broken Wings" von Mr. Mister. Oder "Liebe ohne Leiden" von Udo Jürgens: "Die Zeit ist um, die uns verband / Ich weiß, dass du es fühlst." Gerechterweise muss man aber zugeben, dass die SPD ohnehin lustige Titel an Deezer übermittelt hat: "Auf der guten Seite" von den Sportfreunden Stiller zum Beispiel. Irgendwie gut war auch die Linke: "Im Zweifel für den Zweifel" von Tocotronic.

Dass man sich die Effekte der Popkultur zunutze machen kann, erkannten Politiker in den 1950er Jahren in den USA. Damals ließ Eisenhower bekannte Cartoon-Figuren Wahlkampf-Liedchen singen. Der Meister in der Popularisierung seiner Botschaften war dann John F. Kennedy. Er ließ 1960 seinen Kumpel Frank Sinatra für sich werben. Das Lied "High Hopes" enthielt im Grunde Kennedys Wahlprogramm, und weil der Titel leicht abgewandelt auch in dem Film "A Hole In The Head" von Frank Capra vorkam, gewann er sogar einen Oscar. That's Entertainment.

Fast alle Präsidentschaftsbewerber setzten im Folgenden Popsongs zur Mobilisierung der Wähler ein. Sie hofften, dass die Energie der Lieder auf sie abfärbt und dass sie vom Sympathiebonus der Interpreten profitieren könnten. Barack Obama war mit seinen jährlichen und stets sehr geschmackvoll kompilierten Playlisten ein Virtuose in dieser Kunst. Aber manchmal machten Politiker dabei den Fehler, dass sie sich Lieder nicht in voller Länge anhörten. Ronald Reagan wählte "Born In The USA" von Bruce Springsteen aus. Das Lied ist aber in Wirklichkeit kein Ausdruck von Hurra-Patriotismus, sondern die bittere Bilanz eines Vietnam-Veteranen. Springsteen verbat sich denn auch die weitere Benutzung. Hillary Clinton wollte es besser machen und ließ Wähler über ihren Kampagnen-Song abstimmen. Vom Rücklauf hätte sie auf den Ausgang der Wahl schließen können: Jemand empfahl "Cold As Ice" von Foreigner.

Die Union hatte sicher auch nur den Refrain im Ohr, als sie 2005 zur Begrüßung von Angela Merkel "Angie" von den Stones auflegte. Hätte sie doch auch die Strophen beachtet: "With no lovin' in our souls / And no money in our coats / You can't say we're satisfied." Merkel hat eh kein Glück mit Pop. Nach dem Wahlsieg der CDU 2013 sang sie mit ihren Parteifreunden "An Tagen wie diesen" von den Toten Hosen. Der Band gefiel das gar nicht, und Merkel ging sogar so weit, dass sie den "Herrn Campino" anrief und sich dafür entschuldigte, auf seinem Lied "herumgetrampelt" zu sein. Vielleicht hatte Campino in dem Moment einen Song von Elvis im Kopf: "That's All Right, Mama".

Hierzulande müssen Künstler übrigens vor Gericht ziehen, wenn die - ihrer Meinung nach - falschen Politiker ihre Lieder singen. Helene Fischer ist deshalb mal gegen die NPD vorgegangen, und Wir sind Helden haben ebenfalls gegen diese Partei geklagt, weil die ungefragt das Lied "Gekommen, um zu bleiben" benutzt hatte. In den USA genügt es, wenn der Urheber die Benutzung verbietet. So untersagten R.E.M. Donald Trump den Einsatz des Stücks "It's The End Of The World As We Know It (And I Feel Fine)".

Aber zurück zu den Grünen: "Karl, der Käfer", das wäre es gewesen! Veröffentlicht wurde das Lied 1983, drei Jahre nach Gründung der Partei. Die Band hieß Gänsehaut, sie brachte damals das Album "Schmetterlinge gibt's nicht mehr" heraus, und diese Platte war so etwas wie ein Reservat der geschundenen Kreatur - ein anderes Lied hieß "Johanna, das Huhn". Das war die Hochzeit des Öko-Pop. Ein Genre mit tollen Titeln: "Es gibt keine Maikäfer mehr" von Reinhard Mey. "Der blaue Planet" von Karat. "Tschernobyl (Das letzte Signal)" von Wolf Maahn. Und wer nun denkt, das war aber alles ein bisschen viel, darf aufatmen: Es kam noch härter. "Der letzte Kranich vom Angerburger Moor" von Juliane Werding. Und: "Robbenmütter haben keine Tränen mehr" von Nick.

Dieter Roesberg, der das Lied "Karl, der Käfer" mitgeschrieben hat, ist heute Chefredakteur des Fachblatts "Gitarre und Bass", und in einem Interview erinnerte er sich neulich an seinen Auftritt in der "ZDF-Hitparade". Die Frau von Moderator Dieter-Thomas Heck sei damals hinter der Bühne auf die Musiker zugekommen und habe gesagt: "Ach, was machen Sie doch für schöne Lieder über Tiere!" Sie trug einen Pelzmantel.

"I hope some day you'll join us / And the world will be as one." Vielleicht haben die Grünen mit John Lennon doch alles richtig gemacht.

(hols)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort