Düsseldorf "Imperium" – der große Roman von Christian Kracht

Düsseldorf · Obwohl der Roman heute erst ausgeliefert wird, hat er schon seinen Skandal. Na ja, ein Skandälchen ist es, obgleich der Vorwurf gewichtig und das Medium ein Großkaliber ist. So glaubte der "Spiegel" in Christian Kracht (45) einen "Türsteher der rechten Gedanken" ausgemacht zu haben, weil sein neuer und vierter Roman mit dem pompösen Titel "Imperium" dieses Projekt im Auge habe: "am anderen Ende der Welt ein neues Deutschland zu erschaffen".

Dieser Vorwurf ist intellektuell beschämend. Er ist irrwitzig und obendrein ungerecht einem Buch gegenüber, das seit Kehlmanns "Vermessung der Welt" zu den besten, geistreichsten und eloquentesten deutschen Romanen zählt.

Worum es geht? Um den aberwitzigen August Engelhardt aus Nürnberg. Der hat sich – im Buch wie im wahren Leben – zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit einer kleinen Erbschaft in der Tasche nach Deutsch-Neuguinea aufgemacht (wie es zu Kolonialzeiten hieß), um eine Kokosplantage zu erwerben und sich als strenger Vegetarier ausschließlich von dieser Frucht zu ernähren. Engelhardt ist aber mehr als nur ein zivilisationsmüder Aussteiger. Der Langhaarige will seinem Traum vom "Kokovorismus" frönen und sich einer Frucht widmen, die ihm als offene Schale mit Fruchtfleisch und Milch wie der Leib Christi vorkommt. Die gemeine Nuss ist in seinen Augen ein "Sakrament der Natur", im Grunde eine Hostie. Kurz und gut: Dieser Engelhardt will eine Art Kommune im Freikörperkult gründen, die der Kokosnuss huldigt. Wer so redet, weiß auch, wer der Guru sein wird.

Das ist ein Buch über Visionen, über einen Romantiker, über deutsche Geschichte bis zum Zweiten Weltkrieg – und das alles wird in einem leichten, selbstironischen Ton geschrieben, so dass jede Seite eine helle Lesefreude ist. Kracht findet zu einer Sprache, die es vielleicht vor 100 Jahren gab, so nett gestelzt, verdreht, charmant umständlich, immer geistreich, oft humorvoll. Als Engelhardt etwa auf seiner Plantage Einheimische beim Schlachten einer Ziege "erwischt", greift er ein, rutscht auf dem tierischen Gedärm aus und landet im Blut. Helle Freude unter den Fleischessern; und Glück für Engelhardt. Denn hätte er den Slapstick nicht hingelegt, wäre er nach Stimmungslage der Nächste gewesen, dem es ans Fell gegangen wäre. Und als er tags darauf die "Belegschaft" versammelt und zu ihr über das Fleischessen spricht, kommen köstliche Rückfragen: Ob denn Eier erlaubt seien, wollen die Männer wissen, und wie es mit dem Rauchen stehe. Das 21. Jahrhundert lässt grüßen. Derart souverän hat man selten einen Autor erlebt. Wie Kracht mit Hilfe eines Kinematographen die erzählte Zeit anhält, nach Belieben vor- und zurückspult; wie er Thomas Mann auftreten lässt und ihn in wenigen Zeilen der Lebenslüge seiner Homosexualität überführt; wie sich Kracht böse und klug über die Deutschen hermacht, inklusive Hitler, diesem kleinen Vegetarier mit seiner "absurden schwarzen Zahnbürste unter der Nase".

Man sollte, nein, man muss Kracht – Kultautor von "Faserland" und "1979" – feiern. Gelegenheit dazu gibt es nur beim Lesen. Denn nach dem "Spiegel"-Beitrag hat der in Buenos Aires lebende Autor seine geplante Deutschlandreise erst einmal abgesagt.

Info Kracht: "Imperium". Kiepenheuer & Witsch, 243 Seiten, 18,99 Euro

(RP)
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