Insider: Der Papst macht Stress — aber guten

Das lesenswerte Tagebuch des Vatikan-Kenners und Jesuiten Pater Hagenkord behandelt auch Kritik an Franziskus

Gut ein Jahr ist nun Papst Franziskus im Amt: Das war im März ein Top-Thema in all jenen Medien, die sich (zu Recht) auch mit Kirchenfragen befassen. Doch zumeist wurden diese Bilanzen über das bisherige Pontifikat des ersten Lateinamerikaners auf dem Stuhl Petri weitab von Rom verfaßt.

Ganz anders der Versuch, das lesenswerte Tagebuch eines wirklich kundigen Vatikan-Insiders vorzulegen. Es wurde verfasst von Pater Bernd Hagenkord, dem Leiter der deutschsprachigen Abteilung bei Radio Vatikan. Hagenkord ist Jesuit, also ein Ordensbruder von Jorge Mario Bergoglio, aus dem am 13. März vor einem Jahr Papst Franziskus wurde.

Dass sich der im Konklave 2013 gewählte Papst ,,Franziskus" nannte, ließ Pater Hagenkord, wie er bekennt, ,,völlig sprachlos". Denn das war eine klare Ansage: Radikale Christusnachfolge, Option für die Armen, Einsatz für Gottes Schöpfung. Ein neuer Name, ein neues Programm. Genau beobachtet und kommentiert der Autor die Amtshandlungen dieses Petrus-Nachfolgers, nicht zuletzt jedoch seinen überraschenden Stil, seine Tabu-Brüche, den ,,Protokollschreck Franziskus". Im gleichen Kontext wird auch dessen direkte, unvermittelte Art der Kommunikation erläutert, sein Wunsch,,,mit uns auf Augenhöhe zu sprechen".

Zum ersten Jahr mit Franziskus gehören natürlich auch dessen brüderliche Treffen mit dem emeritierten Benedikt XVI. Dazu betont Hagenkord außer der Novität, dass somit erstmals der Papst neben seinem Vorgänger im Vatikan residiert, das Gehorsmsversprechen von Benedikt gegenüber seinem Nachfolger. Obwohl Benedikt wesentliche Vorarbeit zur ersten Enzyklika von Franziskus (,,Das Licht des Glaubens") leistete, handele es sich da letzlich nicht um einen Text des Theologen Ratzinger. Auch diese weniger zum Studium als zur Meditation geeignete Enzyklika markiere den Pontikatswechsel.

Franziskus auf der italienischen Flüchtlings-Insel Lampedusa, Franziskus beim Weltjugendtag in Brasilien, die Einberufung eines Beratergremiums aus acht Kardinälen von allen Kontinenten, das Lehrschreiben ,,Die Freude des Evangeliums", der Papst und die leidige, schädliche Verschwendungs-Angelegenheit unter der Überschrift "Limburg": Bernd Hagenkord vergißt keine wichtige Etappe, kein Problem in diesem Pontifikatsjahr. Doch das Besondere seines Tagebuchs ist zum einen, dass er beim Hinterfragen der Ereignisse nicht wie viele italienische ,,vaticanisti" nur Kaffeesatzleserei betreibt, sondern als kenntnisreicher Insider urteilt. Zum anderen ist es die gescheite Auseinandersetzung mit einem sonst kaum behandelten Aspekt: der Kritik an Franzikus.

Erster Vorurf: Der Pontifex läßt seinen Reformreden keine Taten folgen. Irrtum, entgegnet der Autor (nicht ganz überzeugend), denn man könne den Papst nicht Kriterien aus der politischen oder medialen Welt unterwerfen. Der Vatikan arbeite sorgfältig. Und Reform heißt eben ,,langsam dicke Bretter bohren." Zweiter Vorwurf: Franziskus kümmere sich zu sehr um die ,,Peripherie", um die verlorenen Söhne, zu wenig um die Kirchentreuen: er beginnt etwas Neues, obgleich die Kirche ja auf Tradition baue. Antwort des Autors? Dieser Papst wolle keine ,,Wohlfühlreligion"; die Welt habe sich gewandelt, auch innerlich. Darauf müsse auch das Sprechen von Gott reagieren.

Franziskus begeistert Pater Hagenkord noch immer. ,,Er hält uns auf Trab, er rüttelt unser System heilsam durcheinander." Stress ja - aber von der guten Art. Aus vatikanischer Perspektive, aber auch mit den Augen der deutschsprachigen Kirche schaut der Autor auf Papst und Vatikan, Weltkirche und Glauben. Sein Tagebuch beweist: Dieser Blick lohnt sich.

(RP)
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