Jürgen Wiebicke "Bis zur Unsterblichkeit ist es ein weiter Weg"

Ein Gespräch über das Denken zum Auftakt der 3. phil.cologne. Die Rheinische Post verlost Eintrittskarten.

Köln Philosoph Jürgen Wiebicke ist Programmleiter der 3. phil.cologne, die sich vom 27. Mai bis 3. Juni in 44 Veranstaltungen mit internationalen Stars der Philosophie ganz dem Denken widmen wird.

Warum ist das Denken unmodern?

Wiebicke Das liegt vielleicht daran, dass es einen Trend gibt, das Denken an andere zu delegieren. Und es gibt im Zeitalter digitaler Medien die Versuchung, hinter der Meinung anderer hinterherzulaufen, statt seinen eigenen Kopf zu gebrauchen.

Und warum ist das Denken modern?

Wiebicke In unübersichtlichen Zeiten, in die wir unweigerlich geraten - weil Biografien nicht mehr vorgegeben sind und Institutionen verdampfen -, wird es stärker darauf ankommen, dass man selber eine Mündigkeit besitzt, die sich durch eigenes Denken ausdrückt. Ich muss mich in einen geistigen Turm zurückziehen und von Einflüssen lösen. Erst dann kann ich feststellen, ob ich ein Leben von der Stange führe oder ob ich eine Vorstellung davon habe, wie ich leben möchte.

Was kann man sich fürs Denken kaufen?

Wiebicke Traditionell werden Denker nicht üppig bezahlt. Aber wenn man anfängt, sich mit der Philosophie zu beschäftigen, wird man schnell feststellen, dass sie einen reicher macht. Natürlich wird manches auch problematischer; das Anerkennen des Nichtwissens spielt dabei eine große Rolle. Der Wert von Philosophie ist insgesamt der Versuch, ein eigenes Leben zu führen.

Was ist undenkbar?

Wiebicke Für mich ist undenkbar, wie eine Welt ohne Menschen wäre. Dabei ist das eine sehr realistische Vorstellung - entweder, weil wir uns selber abgeschafft haben oder weil es vielleicht bestimmte Lebenszyklen für bestimmte Lebewesen gibt. Aber wie das eigentlich sein wird und wie so eine Welt aussieht, ist für mich unvorstellbar und undenkbar. Und wenn ich anfange, mir das vorzustellen, wäre das eine trostlose Welt. Dieser Planet gewinnt an Wert, weil es uns Menschen gibt und weil wir denken.

Kann das Denken uns unsterblich machen?

Wiebicke Wenn man Kant oder Hegel heißt - warum nicht? Und Sokrates hat das sogar geschafft, obwohl wir keine einzige Zeilen von ihm haben. Ich glaube, dass das Denken über den Tod hinausweist, weil wir mit unserem Denken Menschen beeinflussen können, die länger leben werden als wir. Das Denken verschafft uns aber nur eine verlängerte Frist über den eigenen Tod hinaus; bis zur Unsterblichkeit ist es dann noch ein weiter Weg. Das ist die optimistische Variante. Das dominante Gefühl für mich ist derzeit ein anderes: nämlich das der radikalen Entwertung unseres Denkens und unseres Wissens durch Nachfolgende. Wir wissen nicht, ob man in der digitalen Welt von Morgen noch irgendetwas anfangen kann mit dem, was uns jetzt ausmacht. Und das lässt mich manchmal verzweifeln: Wenn ich sehe, dass Werte, die mir viel bedeuten - wie Demokratie, Teilhabe, Einmischen in Verhältnisse - von Jüngeren als Wert gar nicht mehr gesehen wird.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort