Bonn Kandidaten für das Weltkulturerbe

Bonn · Die Unesco berät darüber, welche Stätten in die Liste aufgenommen werden. Aus Deutschland sind der Naumburger Dom und die Speicherstadt Hamburg nominiert. Wichtigstes Thema aber sind die bedrohten Schätze im Nahen Osten.

Zwei Welten prallen aufeinander. Beim Blick auf die Themen des Unesco-Welterbekomitees, das bis zum 8. Juli in Bonn tagt, fühlt man sich unwillkürlich an gespenstische Bilder aus jüngster Zeit erinnert: Flüchtlinge betreten vom Meer her nach lebensgefährlicher Flucht einen Strand, an dem Urlauber es sich unter der Sonne bequem gemacht haben. In Bonn berät das Komitee unter anderem darüber, ob dem Kontorhausviertel und der Speicherstadt Hamburg oder dem Naumburger Dom samt Umgebung der Titel "Weltkulturerbe" zuerkannt werden soll, während die Terrormiliz "Islamischer Staat" im Nahen Osten weitere historische Stätten zu vernichten droht.

Weltweit liegen dem Komitee 39 Nominierungen für die Ernennung zum Weltkulturerbe vor, darunter mehrere Wikinger-Stätten, die Deutschland mit anderen Staaten gemeinsam vorgeschlagen hat. Wer in den Nahen Osten blickt, könte verzweifeln am Sinn des Welterbe-Titels. Ob in Mossul, Sanaa oder Hatra - nirgends hat das Etikett "Weltkulturerbe" den IS von seinen irrsinnigen Taten abgehalten. Und in Mitteleuropa? Dort ist "Weltkulturerbe" allenfalls ein Luxus-Titel, eine Auszeichnung, die bewirken kann, dass künftig mehr Amerikaner und Japaner diese Stätten auf ihren Schnell-Trips durchs Abendland beehren und dem Tourismus Auftrieb geben. Immerhin aber überwacht das Komitee den Erhaltungszustand der bislang 1007 Naturregionen und Kulturstätten auf der Welterbeliste.

Selbstverständlich hat das Komitee nicht die Augen verschlossen vor den Zerstörungen im Nahen Osten. Die Delegierten verabschiedeten gestern einstimmig eine "Bonner Erklärung zum Welterbe". Die verurteilt die "barbarischen Angriffe, die Gewalt und die Verbrechen, die in jüngster Zeit vom sogenannten Islamischen Staat begangen wurden". Anlass zu "tiefer Sorge" sei die Eroberung der antiken syrischen Oasenstadt Palmyra durch die Extremisten. Rund um Palmyra hat der IS Sprengsätze gelegt.

Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), derzeit Vorsitzende des Welterbekomitees, nannte diese Taten "Kriegsverbrechen", die von jedem Staat verfolgt werden müssten. Darüber hinaus müsse alles getan werden, um den Antikenschmuggel aus der Region zu unterbinden. Dadurch nämlich finanziert sich der IS. Böhmer betonte, dass auch Auktionshäuser und Sammler in der Verantwortung stünden.

Unesco-Generaldirektorin Irina Bokowa gibt zu, dass ihre Organisation angesichts der Kultur-Barbarei machtlos sei: "Wie Sie wissen, hat die Unesco keine Armee - wir können nicht vor Ort intervenieren. Doch wir sichern die Konfliktzone so ab, dass möglichst keine Kulturschätze das Land illegal verlassen." Der Wille dazu mag bestehen, doch dem IS gelingt es nach wie vor, diese Sicherung auszuhebeln.

In all diesem Elend gibt es einen Hoffnungsschimmer: Zum Unesco-Weltkulturerbe gehören knapp 300 000 Handschriften aus Timbuktu in Mali. Sie wurden 2012 in einer geheimen Rettungsaktion von dort in die malische Hauptstadt Bamako gebracht, nachdem radikal-islamistische Aufständische den Norden des westafrikanischen Landes überfallen hatten. Nun helfen deutsche Institutionen mit, die Manuskripte zu erhalten und zu digitalisieren. Die in Düsseldorf ansässige Gerda-Henkel-Stiftung hat bisher 600 000 Euro bewilligt; das teilte der Vorstandsvorsitzende Michael Hanssler gestern auf einer Pressekonferenz mit. Zudem beteiligt sich das Auswärtige Amt mit rund 350 000 Euro an der Sicherung des kulturellen Erbes.

Verantwortlich für die Rettung der Schriften ist Abdel Kader Hadara, Generaldirektor der Bibliothek "Mamma Hadara" in Timbuktu. Er ist außerdem Vorsitzender einer Nicht-Regierungs-Organisation, die das handschriftliche Erbe Timbuktus bewahren will. Hadara organisierte mit internationaler Hilfe rund 1200 Autofahrten zwischen Timbuktu und Bamako; die Städte liegen etwa 700 Kilometer auseinander. Um nicht die Aufmerksamkeit der Rebellen zu wecken, wurden in keinem Fall mehr als zwei Kisten mit Handschriften gleichzeitig transportiert.

Acht Monate dauerte die Evakuierung. Etwa 95 Prozent des Bibliothekenbestandes wurden auf diese Weise gerettet. Heute lagern die Manuskripte unter klimatisch ungünstigen Bedingungen in Bamako. Im Süden Malis herrscht eine hohe Luftfeuchtigkeit, die das Material der Schriften angreift. Die Sammlung umfasst einen Zeitraum vom 12. bis zum 20. Jahrhundert und enthält naturwissenschaftliche, medizinische, philosophische, religiöse und wirtschaftliche Dokumente.

Schon früher gab es solche Rettungen. In Kroatien wurde nach dem Bosnienkrieg die Alte Brücke von Mostar rekonstruiert, und schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg erstand die Altstadt von Warschau wieder. "In Nachkriegszeiten wird das Kulturerbe oft zu einem starken Symbol für den Wiederaufbau der Gesellschaft", sagte Unesco-Generaldirektorin Bokowa. Im Nahen Osten aber ist die Nachkriegszeit noch ein Wunschtraum.

(RP)
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