Münster Kardinal Marx – ein Prediger mit Standpunkt

Münster · In Münster wählten die deutschen katholischen Bischöfe den Erzbischof von München und Freising zu ihrem Vorsitzenden.

Münster: Kardinal Marx – ein Prediger mit Standpunkt
Foto: Harald Oppitz

Auch gestern Morgen, an Tag drei ihres Treffens, haben die in Münster versammelten katholischen deutschen Erzbischöfe, Bischöfe und Weihbischöfe (Hilfsbischöfe) zuerst einmal einen Gottesdienst im Paulusdom gefeiert. Die Predigt hielt der Erzbischof von München und Freising, Reinhard Kardinal Marx. Stunden später, nachdem der 60-jährige gebürtige Westfale im vierten Wahlgang mit absoluter Mehrheit der 63 stimmberechtigten Geistlichen gewählt worden war, lobte ihn Berlins Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki: Marx' Predigt sei toll gewesen. Unwillkürlich dachte man daran, wie am 18. April 2005 Kardinaldekan Joseph Ratzinger seine Ansprache im Petersdom vor Beginn des Konklaves zur Papstwahl für richtungweisende Bemerkungen wider den Relativismus genutzt hatte. Weltliche Beobachter verstanden das als Regierungserklärung des Konklave-Favoriten Ratzinger, aus dem am 19. April 2005 Benedikt XVI. wurde. Gab also die laut Woelki "tolle" Predigt gestern im Paulusdom zu Münster den Ausschlag dafür, dass die Wahl zum Vorsitzenden auf Marx fiel?

Der tiefgründige, aber auch gesellige Gottesmann hatte den Abend vorher stundenlang im Kreis von Pressemenschen gesessen, geredet, münsterländisch deftig gegessen, ein wenig Wein und statt des Desserts einen klaren Schnaps getrunken. Kurz vor Mitternacht war er zu Fuß über den Domplatz zum Nachtlager ins Priesterseminar Borromäum gegangen. Er müsse, so rief er zum Abschied, morgen im Frühgottesdienst frisch und ausgeruht sein.

Seine Predigt hielt er frei, wie man so sagt: "von der Leber weg". So hatte er es als Kardinal im vatikanischen Vor-Konklave vor einem Jahr auch gehalten.

Anwesende erzählen, dass Marx' mutige Worte gegen das Vatikanbank-Finanzunwesen Eindruck gemacht und bewirkt haben, dass der spätere Papst Franziskus den ihm bis dato unbekannten, sehr selbstbewussten Deutschen in das Beratergremium der acht Kardinäle sowie zu einer Art Aufsichtsratschef über den neuen vatikanischen Wirtschaftsrat berief. Im Paulusdom formulierte der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz sein Grundanliegen, so wie er es im Interview mit unserer Zeitung 2012 bereits einmal getan hatte: Die große Herausforderung für die Kirche heiße: Evangelisierung, Ansage der Botschaft Christi in einladender, anspruchsvoller Weise, zugleich anziehend und fordernd.

Im Interview hatte er gesagt, die Kirche rede zu viel von Strukturen und über Moral. Jetzt meinte Marx: "Die Verkündigung der rettenden Nachricht für alle Menschen kann nicht darin bestehen, vor allem Nein zu sagen." Es gehe um das große Ja-Wort Gottes, das im Leben der Kirche sichtbar werden solle. Marx rief zwei Päpste, die am 27. April in Rom von Franziskus heiliggesprochen werden, als Zeugen in Erinnerung: Johannes XXIII. und Johannes Paul II. Johannes XXIII. habe gegen die kirchlichen Unheilspropheten gewettert, die in der Welt vorwiegend Bedrohliches erkennen. Und Johannes Paul II. rief 1978 von der Loggia des Petersdomes sein berühmtes "Non abbiate paura — Habt keine Angst!" in die Welt. Marx ist das Gegenteil eines ängstlichen, verdrucksten Typs: ein Gottesmann mit barocken Umgangsformen und lauter Stimme.

Hamburgs altehrwürdiger Weihbischof Hans-Joachim Jaschke, der mit der Wahl des Mitbruders Reinhard ebenso zufrieden zu sein schien wie der hoffnungsvolle jüngere Kölner Weihbischof Dominikus, freute sich auf eine neue katholische Aufbruchstimmung unter dem Franziskus-Motto "Raus aus dem Ghetto, hin zu den Menschen!"

Marx, dessen innerkirchliche Gegner ihm einen Hang zur Üppigkeit nachsagen ("Haben Sie mal die Residenzen in München und Rom gesehen?"), mokiert sich gerne über vatikanisches "Hofstaat-Gehabe", über Äußerlichkeiten wie die farbenfrohe Schweizer Garde oder die bei Touristen beliebten Vatikan-Briefmarken: "Alles nett, aber im Zentrum der Kirche muss stehen, dass von Christus gesprochen wird, die Frohe Botschaft darf nicht zur Nebensache, sie muss zur Hauptsache werden." Marx beklagt mangelnden christlichen Spirit, er möchte jedoch kein kämpferisches Christentum, das anderen die Glaubenswahrheit "mit dem Waschlappen um die Ohren haut". Selbstkritisch meinte er einmal, an Gott könne es ja nicht liegen, dass viele Menschen mit dem Begriff Kirche Enge, Kleinkariertheit, veraltete Moralvorstellung verbänden: "Dann kann es ja wohl nur an der Kirche liegen." Und: "Dort, wo Menschen der Kirche begegnen, müssen sie authentische Zeugen treffen, und auch ein Mensch aus einem anderen, nicht christlich geprägten Kulturkreis muss spüren: Hier passiert etwas Starkes, nichts Belangloses."

Wer glaubt, dass das neue Gesicht und die neue Stimme des deutschen Katholizismus ein Zeitgeist-Surfer sei, dem würde Marx entgegnen: "Die Kirche darf nie ihren Glauben windschnittig an eine Mehrheitsmeinung anpassen wollen."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort