Kinder räumen Hitlers Minen weg

Neu auf DVD: In dem Antikriegsdrama "Unter dem Sand" geht es um elf deutsche Jungen, die in Dänemark Minen räumen mussten.

Zentimeterweise robben die Jungen über den Strand. Einige schwitzen, einige zittern, alle sind bleich, niemand spricht. Ab und zu verharrt einer, ertastet etwas im Sand, beginnt mit bloßen Fingern danach zu buddeln, Terror in den Augen. Nur ein Millimeter daneben, ein nervöses Zucken der Hand, und es reißt ihn in Fetzen. 45.000 Tretminen liegen an diesem dänischen Küstenstrich vergraben. In drei Monaten sollen die elf Jungs sie alle finden und entschärfen. Die Hälfte von ihnen wird es überleben. Vielleicht.

Bei seinen Recherchen zum Nachkriegsdrama "Unter dem Sand" suchte der dänische Regisseur und Drehbuchautor Martin Zandvliet alles an historischen Fakten zusammen, was er finden konnte. Viel war es nicht, das Thema ist unpopulär: Schon 1945 gegen die Genfer Konvention zur Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen, verpflichtete das britische Oberkommando in Dänemark direkt nach Kriegsende etwa 2000 deutsche Gefangene, die Minen der deutschen Wehrmacht zu entfernen. An der Nordseeküste lagen geschätzte 2,2 Millionen, mehr als an allen anderen europäischen Küsten zusammen. Erst 2012 wurden Dänemarks Küsten offiziell für minenfrei erklärt. Aber als vor den Dreharbeiten das dänische Militär den Set-Strand vorsichtshalber noch einmal absuchte, fand sich immer noch ein alter Sprengsatz.

Es sind elf junge Männer im Alter zwischen 15 und 18 Jahren, die zu Anfang des Films den Dienst antreten; Rasmussen heißt der dänische Hauptmann Carl Rasmussen (Roland Møller), dessen Befehl sie unterstehen. Über die Vergangenheit der Jungen erfährt man so gut wie nichts, kann sich aber einiges vorstellen, und es ist nichts Gutes. Vielleicht sind sie die Söhne toter Soldaten, vielleicht gehörten sie zu Hitlers letztem Aufgebot. Vielleicht haben sie sich schuldig gemacht, aber sicher nicht für sehr lange Zeit und nicht aus eigenem Antrieb - wie auch in diesem jugendlichen Alter? In den wenigen Dialogen, die in den Pausen und Nächten zwischen den Entschärfungskommandos stattfinden, reden die Jungs nicht über Vergangenes, sondern über die alltäglichen Dinge, die sie sich für die Zukunft erträumen. Es sind Träume von rührender Arglosigkeit: Mal wieder was Ordentliches essen zum Beispiel, ein Mädchen küssen, Maurer werden. Die Chance steht indes schlecht, dass es dazu eines Tages kommt.

Dann ist da der Zorn der Einheimischen auf die Deutschen. Er bricht sich unter anderem Bahn in der Verzweiflung, die sich gleich in Rasmussens erster Szene entlädt, als er blind vor Wut auf einen vorbeitrottenden Zug von Wehrmachtssoldaten einschlägt. Was der Krieg ihm angetan hat, wird nicht erklärt, aber man ahnt, dass das Grauen auch hier allzu groß war, um von einem Menschen verarbeitet werden zu können. Die Seelen sind versehrt in diesem Film. Und an Rasmussens Verhalten, seinem Umgang mit den Jungen, entzünden sich die grundlegenden Fragen des Films. Wie viel Verständnis verdient mein Feind? Ist Schuld mit Schuld zu vergelten? Kann jemand noch Mensch bleiben, wenn er Unmenschliches erfahren hat?

Die klare, entschiedene Art, wie Martin Zandvliet die Frage beantwortet, macht seine Produktion "Unter dem Sand" zu einem außergewöhnlich dichten Antikriegsdrama. Das Drama transportiert eine kaum jemals abreißende, unerträglich reale Spannung. Gefahr, Ablehnung und Hass liegen praktisch jede Minute in der Luft über den Dünen. Den Jungen bei der täglichen Tortur am Strand zuzusehen, wird auch zur Tortur für einen selbst, weil man die Charaktere mit der Zeit ein wenig besser kennenlernt, und Rasmussen geht es nicht anders. Einer von ihnen tritt nach einigen Tagen in der Baracke in den Vordergrund, ein charakterfester Kerl namens Sebastian (Louis Hofmann), der sich für die anderen einsetzt, Rasmussen mutig um mehr Essen bittet und um Hilfe.

Mit der Zeit entwickelt Rasmussen durchaus Empathie für die Truppe, aber es ist keine lineare Entwicklung, immer wieder bricht der Hass durch. Immerhin, als die halb verhungerten Jungs in einem abgelegenen Bauernhof mit Rattengift versetztes Essen klauen, flößt er ihnen Meerwasser ein, damit sie es erbrechen. Dann fährt er los und besorgt Kartoffeln und Brot, selbst längst misstrauisch beobachtet von seinen Vorgesetzten, die nicht begreifen, dass er diese Deutschen nicht einfach sterben lässt wie die Fliegen. Rasmussen aber kann nicht anders, und es bringt ihm am Ende eine Art von Heilung.

Obwohl er an diesem Strand Jungs verlieren wird, viele. Statt einer Zukunft grausame, sinnlose Tode, einer nach dem anderen.

So ist Krieg.

(RP)
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