Klassik, wie sie quietscht und lebt

Musik auf alten Instrumenten ist längst in unseren Alltag eingezogen. Das Freiburger Barockorchester, das jetzt 30 Jahre alt wird, hat wunderbar dazu beigetragen.

Es war das Jahr 1982, als das Ungeziefer, wie wir damals scherzten, Einzug in die Familie hielt. Mein Vetter, der Naturhornist Marcus Schleich, nahm unter Leitung von Nicolaus Harnoncourt die Brandenburgischen Konzerte von Bach für die LP auf, es spielte der Concentus Musicus Wien, es war eine Pionierleistung auf alten Instrumenten - und wer dem Vetter beim Üben lauschte, der konnte die Flöhe husten und die Rohre scheppern hören. Naturhörner können seltsame Geräusche produzieren, knattern, quietschen, furzen, heulen. Aber es klang spannend, aufregend und viel schöner als alles, was wir von modernen Instrumenten kannten. Wir erlebten unseren Bach nicht als sinfonisches Breitwandgemälde, sondern als atmende, sprechende Kostbarkeit, als Aufbruch, nicht als Restauration. Große Zeiten.

Mein Vater mochte das anfangs gar nicht. "Muss das so klingen?", fragte er - und in seinem Gesicht spiegelten sich Unsicherheit und Misstrauen eines Traditionalisten. Ich studierte im fünften Semester Musikwissenschaft in Köln, dort im Institut hatten wir eine große Instrumentensammlung, außerdem saßen wir in der Domstadt am Nabel der historischen Aufführungspraxis. Die Cappella Coloniensis, gegründet beim früheren NWDR, oder Reinhard Goebel und sein Ensemble Musica Antiqua Köln waren unsere tägliche Umgebung, und so sagte ich meinem Vater: "Ja, muss es. Bach selbst hat es so gehört."

Das war natürlich hoch gepokert, eigentlich wussten wir wenig. Aber wenn wir zu Goebel ins Konzert pilgerten, hatten wir den Eindruck geheimnisvoller Nähe zu den alten Meistern. Wir saßen sozusagen bei ihnen am Arbeitstisch, in der Instrumentenkammer, im Probenlokal, wir ahnten, dass sie ihre Traktate über Vibrato, über Artikulation und Rhythmus nicht grundlos verfasst hatten: Sie hatten genaue Vorstellungen von einem lebendigen Klang. Den hatte Harnoncourt "Klangrede" genannt, und wir ahnten, warum einer wie Bach eine so innige Verbindung zu den Gesetzen und Mitteln der Rhetorik pflegte. Natürlich war uns klar, dass die musikalischen Bedingungen damals, zu Lebzeiten der Komponisten, längst nicht so gut waren wie heute; die Meister, die stets ihre eigenen Interpreten waren, hatten nicht selten mit Laien zu tun, die ihnen bei der sonntäglichen Kantate aus der Patsche helfen mussten. Aber der Geist war vermutlich ein anderer: charmant, kammermusikalisch, agil - und nicht so voluminös und grob, von stählernen Streichersaiten dominiert, von Blechbläsern mit Ventilen überglänzt.

Als junger Musikkritiker war es in Köln unmöglich, nicht "historisch informiert" zu sein. Und allmählich gewannen wir Kriterien, was gut klang und was nur bemüht. Allerdings schälten sich bald klangliche Eigenschaften heraus, die typisch waren für den neuen alten Sound: dynamische Bäuche auf langen Noten, eckige Rhythmen, schroffe Blechbläserakzente, ungeschönte Klangeffekte, kleine Besetzungen, manches Knarzen. Viele mussten sich erst daran gewöhnen, und es gab natürlich Auswüchse, wie jenen, den der Geiger Hajo Bäß von Musica Antiqua Köln das "Überpunktierungs-Syndrom" nannte.

Aber mehr und mehr reiften neben dem Experimentierhunger auch die Brillanz und die Schönheit des Klangs heran. Es machte sich bezahlt, dass Einzelkämpfer wie der Gambist August Wenziger, die Cembalistin Wanda Landowska oder der Geiger Eduard Melkus in jahrzehntelanger Tunnelbohrung den neuen Weg durch Dunkel ins Licht gangbar gemacht hatten. Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierten sich internationale Zentren heraus: Wien, Köln, London, Amsterdam, Gent, Tokio, Boston - und Freiburg.

In der Tat, das Freiburger Barockorchester hat bis heute erheblichen Anteil an der Diversifizierung und Verankerung von Kompetenz. Von Anfang an saßen Spitzenleute an den vorderen Pulten, so dass das Ensemble auch in den exponierten solistischen Momenten glänzen konnte. Das zahlte sich aus, wenn das Ensemble die Komposition eines Barockmeisters ausgrub, von der die Welt noch nie gehört hatte, und sie mit einem Schlag spektakulär machte. Da zeigte sich, dass die Qualität eines Werks manchmal von der Intensität der Aufführung entscheidend durchgesetzt werden kann. Auf der anderen Seite entdeckt man selbst in tausendfach aufgeführten Erfolgsschlagern wie Mozarts "Don Giovanni" immer noch wundervolle instrumentale Nuancen, wie in der hinreißenden Aufnahme unter René Jacobs, in der sich die Freiburger auf improvisatorische Modelle einlassen.

Fraglos ist die Barock- und vorklassische Musik die wichtigste Säule des Repertoires, und man kann diesen Straßenzug im Monopoly der Musikliteratur mit den Freiburgern nicht schöner bereisen als mit den frühen Aufnahmen des FBO, die längst zu einer 10-CD-Kult-Box gebündelt sind. Wer sich kompetent zu Bach, Vivaldi, Purcell, Zelenka oder Telemann geleiten lassen will, der ist hier als Konsument und Liebhaber richtig.

Natürlich hat das Musizieren auf historischen Instrumenten eine normative Kraft, der sich niemand entziehen kann. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die kommerzielle Ebene. Im Widerstreit vom wahren Wert und Warenwert hat die alte Musik auf ebensolchen (meistens nachgebauten) Instrumenten eine Power bis hin zur Ladentheke. Kaum eine Bach-Aufnahme außer den Klavierwerken wird heute noch auf modernem Instrumentarium verkauft. Und der Vorwärtsdrang der Historisten hat etwas Beängstigendes. Beethoven und Mozart hatten sie schnell erobert, längst sind sie bei Brahms, Berlioz und Verdi angelangt.

Auch in diesem Segment sind die Freiburger Spielführer. Ihre Aufnahmen der Klavierkonzerte Mozarts mit dem Hammerklavier-Spezialisten Kristian Bezuidenhout sind großartig, nicht minder die Aufnahme von Mozart-Arien mit dem Bariton Christian Gerhaher. Tatsächlich sind es häufig die Solisten, die von sich aus um die Zusammenarbeit mit dem Freiburger Barockorchester nachfragen, so der Countertenor Philippe Jaroussky für Bachs und Telemanns "Sacred Cantatas".

Zugleich lebt die musikalische Gegenwart davon, dass etliche Musiker nicht dogmatisch nach alten Instrumenten verlangen, aber die Erträge ins Musizieren integrieren. Ein fabelhaftes Beispiel ist die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, die unter Paavo Järvi etliche Sinfoniker reanimiert hat - stilistisch so mustergültig, dass man sich beim Hören fragt, ob da wirklich Instrumente von heute erklingen.

So ist denn viel Normalität in das Musizieren auf jenen Instrumenten eingezogen, von denen mancher anfangs glaubte, es gleiche Ungeziefer oder sei eine Marotte. Natürlich haben wir nicht die Ohren von damals; natürlich wissen wir nicht, ob Bach nicht doch den Steinway vorgezogen hätte. Aber wir haben mit den alten oder nachgebauten Geräten und den vibrierenden Tönen, die aus ihnen kommen, so viel Freude, dass wir sie nicht missen wollen. Dass aber auch das Musizieren selbst Spaß machen kann, das lässt uns das Freiburger Barockorchester Tag für Tag erleben, wenn wir ihre Konzerte besuchen oder ihre Platten hören. Sie machen unser Leben reicher.

(w.g.)
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