Knausgard beendet seinen Kampf

1200 Seiten umfasst der neue Roman des norwegischen Schriftstellers Karl Ole Knausgard. Er schließt damit sein großes, erschütterndes autobiografisches Projekt aus sechs Romanen ab.

Dies ist eine Warnung! Denn wer geglaubt und gehofft hatte, der norwegische Autor Karl Ove Knausgard würde immer so weitermachen und auch im finalen sechsten Band seines großen autobiografischen Roman-Projekts einfach immer wieder aufs Neue vom Tod seines hassgeliebten Vaters, von den Niederlagen seiner Kindheit, den Verheerungen der Liebe, den gescheiterten Ehen, den vergeblichen Versuchen, ein guter Familienvater zu sein, und von der Sehnsucht nach einem Leben als anerkannter Schriftsteller erzählen, hat sich geirrt. Denn jetzt, in "Kämpfen" - einem 1200-seitigen, den Leser in tiefste seelische und politische Abgründe ziehenden Literatur-Monstrum - wird klar, warum der norwegische Originaltitel der Roman-Serie "Min Kamp 1-6" ("Mein Kampf 1-6") lautet: Eben nicht nur, weil Knausgards Leben und Schreiben ein einziger Kampf um Liebe und Anerkennung ist, oder weil sein Gefühl, sozialer Außenseiter zu sein und den eigenen Ansprüchen nie gerecht werden zu können, übermächtig ist und gelegentlich in Alkohol-Exzessen endet. Nein, der Titel spielt bewusst auf Adolf Hitlers "Mein Kampf" an und ist als gezielte literarische Provokation gemeint.

Das wollte man den deutschen Lesern nicht zumuten, nannte stattdessen die einzelnen Bände "Sterben", "Lieben", "Spielen", "Leben" "Träumen" und jetzt eben "Kämpfen": Und nun, in einem schier unlesbaren und unfassbar verwirrenden Essay-Einschub auf den endlosen Seiten 436 bis 925 wird klar, dass Knausgard von dieser selbstgerechten Biografie eines Massenmörders und diesem Pamphlet über die geplante Vernichtung des europäischen Judentums zugleich erschrocken wie fasziniert ist.

Knausgard verknüpft sein selbstquälerisches Lebensgefühl sozialen Außenseitertums und intellektuellen Ungenügens mit Hitlers Biografie; er will verstehen, wie ein vom übermächtigen Vater drangsalierter junger Mann seine künstlerischen Ambitionen verliert und zum verbohrten Rassisten und Antisemiten mutiert; wie es kommt, dass eine zum Vernichtungskrieg aufrufende Kampfschrift in weiten Kreisen der Bevölkerung nicht Abscheu und Angst, sondern Bewunderung und Zustimmung hervorrufen kann. Knausgard, der bei seinem toten Vater eine Nazi-Anstecknadel und in der Truhe seiner verstorbenen Großmutter Hitlers "Mein Kampf" gefunden hat, nimmt den Leser mit in den Schlamm der moralischen Perversion und in die Hölle des politisch Bösen. Er zitiert seitenlange Passagen aus Hitlers Tabu-Schrift, zerlegt Wörter, analysiert Sätze, interpretiert Bedeutungen, verweist auf unzählige wissenschaftliche Sekundärliteratur zum Thema Hitler und Holocaust.

Dass Knausgard dabei Neues und Überraschendes zutage fördert, kann man nicht sagen. Es ist eine Tortur, literarischer Auswurf eines Autors, der sich verzweifelt gegen seine eigene Verführbarkeit wappnen und uns warnen will: Denn das Böse wird in Gestalt eines verführerischen "Wir" daherkommen und das Verbrechen - auch mit gütiger Hilfe der Literatur - als das einzig "Richtige" verkaufen.

Um nicht gleich mit der 500-seitigen unsäglichen Hitlerei den Leser zu entmutigen, beginnt Knausgard wie (fast) immer: Er erzählt, wie er mit seinen Kindern Vanja, Heidi und John Eis isst, wie er das Frühstück bereitet, auf dem Balkon eine Zigarette raucht oder sich von seiner manisch-depressiven Frau Linda jede Minute zum Schreiben regelrecht erkämpfen muss. Doch schon bald bekommt das autobiografische Gemurmel einen speziellen neuen Dreh: denn Knausgard schreibt das Finale aus der Perspektive eines Autors, der mit den ersten Bänden der "Min Kamp"-Serie Skandale und Schlagzeilen hervorgerufen, endlich Karriere gemacht hat und von einem armen Schlucker zum international bewunderten Schriftsteller geworden ist.

Er erinnert sich noch einmal an die Zeit, als der erste Band des Mammut-Projekts erscheinen soll, er das Manuskript zur Begutachtung und Freigabe an alle wichtigen Roman-Figuren schickt und dabei seltsame Überraschungen erlebt: Während einige mit allem einverstanden sind, ist Gunnar, der Bruder des toten Vaters, entsetzt, bezeichnet den Roman als Lügengespinst, kündigt eine Klage an. Knausgard bekennt jetzt, dass sein auf reine Realität und pure Autobiografie zielendes Schreiben seitdem eine gehörige Delle bekommen hat, er manche Beschreibungen, Namen und Orte geändert, einige Schilderungen erfunden, anderes Erlebtes weggelassen hat. Das angeblich Faktische, lernen wir nun, beruht auch bei Knausgard oft nur auf Fiktion.

Weil er trotzdem von der bitteren Wirklichkeit und der Beschreibung des schnöden Ehe- und Familien-Alltags nicht lassen kann, entgleitet ihm seine Ehefrau zusehends. Linda ist schockiert, was er über sie und die Kinder schreibt. Ihre eigenen Schreibversuche scheitern, und die Angst, dass Kinder an dem, was der Vater über sie schreibt, zerbrechen könnten, ist zermürbend.

Aber Knausgard weiß, dass er, um Schriftsteller zu werden und sein verkorkstes Leben zum Roman zu machen, seine Ehe und Familie wahrscheinlich zerstört: "Ich habe Linda so gern, und ich habe unsere Kinder so gern. Ich werde mir nie verzeihen, was ich ihnen angetan habe, aber ich habe es getan, damit muss ich leben."

(RP)
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