Geschichte Kritik am Umgang der Rheinoper mit Nazi-Dichter

Düsseldorf · Literaturwissenschaftler halten es für unzulässig, selbst ein Frühwerk des späteren Nazi-Autors Hanns Johst unkommentiert zu nutzen.

 Diktator Adolf Hitler im Jahr 1937.

Diktator Adolf Hitler im Jahr 1937.

Foto: afp

Er war der "Barde der SS", nationalsozialistischer Dichter und einflussreicher Kulturfunktionär: Hanns Johst. 1935 machte Hitler den Schriftsteller aus Sachsen zum Präsidenten der Reichsschrifttumskammer. Schon in den 20er Jahren war er zum überzeugten Anhänger nationalsozialistischer Ideen geworden, nun konnte er im Dritten Reich Karriere machen. Und er tat es ohne Skrupel, drohte Buchhändlern mit der Gestapo, wenn sie seine Werke nicht bestmöglich ausstellen wollten, und entwarf eine "heroisch-kultische" Dramentheorie.

Am Anfang seines Werdegangs hatte Johst anders gedacht. Da schrieb er passend zur Zeit expressionistische Texte, stand linken Dichterkreisen um Brecht nahe und vertrat pazifistische Positionen. In dieser Phase verfasste er 1914 einen Einakter über den Ersten Weltkrieg. Zwar hatte er selbst zu dieser Zeit noch keine Erfahrungen als Soldat gemacht, eingezogen wurde er erst 1915 und bereits nach zwei Monaten aus gesundheitlichen Gründen wieder entlassen. Doch das Stück "Die Stunde der Sterbenden", mit dem er debütierte, fasste die Schrecken des Krieges expressiv in Sprache.

Die Komponistin Adriana Hölszky hat sich für ihre gerade an der Rheinoper in Düsseldorf uraufgeführte Ballettmusik "Deep Field" von diesem Text inspirieren lassen. In einem Interview im Programmheft nennt sie das Stück ein "expressives Menschheitsdrama" und sagt, das Leiden, das Hanns Johst in seinem Drama schildere, gehöre zu den Erfahrungen, die wir machen müssten, um zu wissen, dass wir existieren. Eine Einordnung des Autors oder eine kritische Auseinandersetzung mit seiner späteren Entwicklung zum Nazi sucht man in dem Programmheft indes vergebens.

Dass eine Komponistin auf das Frühwerk eines späteren Nationalsozialisten zurückgegriffen hat, finden Literaturwissenschaftler wie Karl Corino nicht verwerflich. "Einen Autoren wie Johst total zum Tabu zu erklären, halte ich für übertrieben", so Corino. Allerdings gebiete es der historische Anstand, die nationalsozialistische Wende, die der Autor nach seiner expressionistischen Frühphase genommen hat, im Programmheft zu erwähnen und kritisch zu reflektieren.

Johst sei schließlich nicht irgendein Mitläufer gewesen, sondern eine zentrale Figur in der Kulturpolitik Hitlers, ein enger Freund des SS-Reichsführers Heinrich Himmler und ein Überzeugungstäter, der etwa massiv gegen deutsche Exilliteraten wie Thomas Mann aufgetreten sei. So schrieb Johst in einem Brief an Himmler: "Könnte man nicht vielleicht Herrn Thomas Mann, München, für seinen Sohn ein wenig inhaftieren? Seine Produktion würde ja durch eine Herbstfrische in Dachau nicht leiden."

Dass der Hinweis auf die nationalsozialistische Wende des Autoren im Programmheft der Rheinoper fehlt, hält auch der Literaturhistoriker Rolf Düsterberg, Professor an der Universität Osnabrück und Hanns-Johst-Biograf, für unzulässig. "Johst war nicht nur ein nationaler, sondern ein nationalsozialistischer Autor", sagt Düsterberg. Das müsse man erwähnen, auch wenn man sich mit seinem politisch so ganz anders gefärbten Frühwerk beschäftige. "Es gibt bei jedem Werk eine Ebene, die über das Textliche hinausgeht und in einen Kontext gestellt werden muss", so Düsterberg, "sonst kann man einen Text nicht richtig einschätzen." Johst habe erst durch den Nationalsozialismus gesellschaftliche Bedeutung erlangt, das müsse man erwähnen, wenn man sich zu seinem Werk verhalte.

Die Rheinoper hat zu diesen Vorwürfen gestern noch nicht Stellung genommen. Komponistin Adriana Hölszky steckte in den Endproben ihrer nächsten Uraufführung, einer Dostojewski-Oper in Mannheim. Ballettchef Martin Schläpfer war aufgrund einer Dienstreise nicht zu erreichen. Rheinopern-Intendant Christoph Meyer wollte das Gespräch mit beiden Künstlern abwarten, ehe er sich zu der Kritik an seinem Haus äußere.

Eine Auseinandersetzung mit der ideologischen Entwicklung des Dichters Johst hätte durchaus Ergebnisse zu Tage gefördert, die auch sein Erster-Weltkriegs-Drama betreffen. Johst stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, wollte zunächst Missionar werden, studierte dann aber in Leipzig, München und Wien Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte, allerdings ohne Abschluss. 1917 verfasste er ein Drama über den Vormärz-Dichter Christian Dietrich Grabbe, das noch im selben Jahr am Düsseldorfer Schauspiel uraufgeführt wurde. Ein Jahr später sah Brecht eine Inszenierung von "Der Einsame" in Berlin und verfasste als ästhetischen Gegenentwurf gegen Johsts Geniepathos sein Bühnenwerk "Baal".

Zu dieser Zeit begann Johst seine Abwendung vom Expressionismus, den er nur mehr zur "Gebärde" erklärte. Dagegen beschwor er die Macht der aufziehenden "neuen Kunst", die aus aus der Natur schöpfe und zum absoluten Kunstwerk führe. 1923 entwickelte er in einem Aufsatz eine Art Dramentheorie. Darin heißt es unter anderem, das Theater sei "die letzte Kultstätte einer bedrohten, verschütteten Volksgemeinschaft, ein letztes Asyl völkischer Diskussion und völkischer Erhebung". Da stellt ein Autor, der emporkommen will, seine Sprachfertigkeit in den Dienst "der völkischen Sache" und hat eine neue "Gebärde" gefunden.

Das wirft ein Licht auch auf Johsts ältere Texte, mögen sie auch expressiv das Leid im Krieg beklagen.

(csi)
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