Berlin Kunst aus dem KZ

Berlin · Malen als Akt des geistigen Widerstands: Im Deutschen Historischen Museum in Berlin ist eine bewegende Ausstellung mit Werken zu sehen, die während des Holocaust in Ghettos und Arbeitslagern entstanden sind.

Sie malten im Geheimen. Bedrich Fritta versteckte seine Bilder im Ghetto Theresienstadt, bevor er 1944 in Auschwitz starb. Jacob Lipschitz schob seine Bilder in Tongefäße und vergrub sie auf einem Friedhof. Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt nun mehr als 70 Jahre später Kunstwerke aus dem Holocaust. Die 100 Bilder stammen von Menschen, die in den Konzentrationslagern, Ghettos und Arbeitslagern der Nationalsozialisten gefangen waren.

Allein der Akt des Malens sei ein Zeichen des geistigen Widerstandes gewesen, sagt Kuratorin Eliad Moreh-Rosenberg vor der Eröffnung am Montag. Die israelische Gedenkstätte Yad Vashem hat noch nie zuvor so viele ihrer Kunstwerke außerhalb Israels ausgestellt. Alle Bilder- so verschieden sie sind - hätten eine Gemeinsamkeit: Sie verkörperten die Kraft des menschlichen Geistes, der nicht aufgegeben habe.

Das zeigt zum Beispiel ein Bild, so klein wie ein Polaroid. Vor dunklen Baracken spannt sich ein Stück Stacheldraht, und ganz nah fliegt ein gelber Schmetterling vorbei. Nur einer der beiden Künstler überlebte die Gefangenschaft am Ende. Die Ausstellung "Kunst aus dem Holocaust - 100 Werke aus der Gedenkstätte Yad Vashem" zeigt Bilder von 50 Künstlern. Die Nationalsozialisten ermordeten 24 von ihnen.

Die Ausstellung, die von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnet wurde, zeigt zum einen Bilder, die düstere Realität abbilden. Fritta zeichnete mit Tusche den Hintereingang zum Ghetto. Leo Haas hielt die Ankunft eines Gefangenentransports fest. Das sind Stücke, die später nach Angaben der Ausstellungsmacher auch vor Gericht als Beweise dienten. Zu sehen sind im zweiten Teil Porträts von Mithäftlingen und zuletzt Bilder, die weit weg liegen von der Wirklichkeit. Bunte Straßenszenen. Meereslandschaften.

Oder zwei Mädchen im Punktekleid, die über eine Wiese laufen. Nelly Toll malte die Szene mit acht Jahren. Sie ist die einzige Künstlerin der Ausstellung, die 71 Jahre nach Kriegsende noch am Leben ist. Sie werde oft gefragt, ob sie Zeichenunterricht bekommen oder besonderes Talent habe, erzählt Toll. Aber sie habe einfach sehr viel Zeit gehabt. Sie versteckte sich damals mit ihrer Mutter in einer kleinen Kammer. "Die Charaktere auf dem Papier wurden meine Freunde."

In der Ausstellung wird die Schriftstellerin Margarethe Schmahl-Wolf zitiert: "Doch meine Seele ist frei." Die Menschen hätten in ihrer Kunst überlebt, ihre Seele sei darin zu finden, sagt Kurator Walter Smerling von der Stiftung für Kunst und Kultur. Ihren Geist habe man nicht fesseln können. Die Bilder seien eine "schmerzliche Hinterlassenschaft" und forderten uns auch auf, immer wieder zu fragen: Wie konnte so etwas passieren?

Während des Holocausts wurden nach Schätzungen etwa fünf bis sechs Millionen Juden ermordet. Ihre Bilder werden nun ausgerechnet in Berlin gezeigt, im früheren Zentrum der Naziherrschaft. Sie hätten anfangs gezögert, ob sie die Bilder verleihen könnten, sagte der Vorsitzende von Yad Vashem, Avner Shalev. Die Kunstwerke seien unersetzlich. Sie hätten aber entschieden, dass es ein guter Zeitpunkt sei, um einige Werke nach Deutschland zu bringen.

Die Ausstellung läuft bis 3. April und ist eine Initiative von "Bild"-Herausgeber Kai Diekmann. Als Besucher geht man durch die Räume und erinnert sich an Fotos von ausgehungerten Häftlingen und getöteten Männern und Frauen. Die Gemälde und Zeichnungen werfen einen neuen Blick darauf - Bleistiftskizzen offenbaren diesmal die Barbarei, Karikaturen zeigen den Alltag, und manche Bilder lassen erahnen, wie sehr sich die Menschen nach Zukunft sehnten.

Jedes Kunstwerk erzähle drei Geschichten: Die Geschichte des Motivs, die Geschichte seiner Entstehung und die Geschichte des Künstlers, sagt Kuratorin Moreh-Rosenberg. Ein Künstler habe zum Beispiel aus einem Kartoffelsack eine Leinwand gebaut. Vielen sei bewusst gewesen, dass sie nicht überleben würden, sagt sie. "Es war ihre Hoffnung, dass etwas für die nächsten Generationen überleben wird."

(dpa)
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