Serie "Kulturstadt" Kunst-Ausflug nach Dortmund

Schon ein Tag genügt, um die Kultur einer Stadt kennenzulernen. Wie das geht, wollen wir in unserer neuen Serie zeigen. In der ersten Folge am Beispiel der Stadt Dortmund.

 Das goldene U auf dem Dach der ehemaligen Union-Brauerei ist längst ein Wahrzeichen Dortmunds.

Das goldene U auf dem Dach der ehemaligen Union-Brauerei ist längst ein Wahrzeichen Dortmunds.

Foto: dpa

Kultur reimt sich auf Ruhr. Das hat sich spätestens seit 2010 herumgesprochen, als das Ruhrgebiet für ein Jahr die Rolle der Kulturhauptstadt Europas spielte und der Welt zeigte, dass es mehr beherrscht als den altbekannten Dreiklang aus Kohle, Stahl und Bier. Wie viel Kultur im Ruhrgebiet steckt, zeigt sich allein schon beim Blick auf die größte Stadt der Region: Dortmund.

Man braucht nicht jedes Theater, jede Galerie und jeden Konzertsaal aufzusuchen, um sich von Dortmunds kulturellen Stärken zu überzeugen. Ein Tag genügt, um in einem Halbkreis um den Hauptbahnhof auf nur wenigen hundert Metern in Geschichte und Gegenwart der Stadt einzutauchen, dabei mitten durch die belebte Fußgängerzone zu laufen, vom weithin sichtbaren "U", dem einstigen Gebäude der Union-Brauerei, einen Blick auf die Umgebung zu werfen und am Ende im Biergarten einer Hausbrauerei die Sonne zu genießen.

Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte bietet auf fünf Ebenen rund um eine riesige Lichtkuppel einen Gang von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, von der Ur- und Frühgeschichte bis zum Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstörten Stadt. Man lernt, dass die Römer nicht nur zum Rhein vordrangen, sondern sich um Christi Geburt zeitweise auch in Westfalen niederließen. Nachdem die Germanen sich in linksrheinisches Gebiet gewagt hatten, setzten die Römer zum Gegenangriff an und errichteten rund um Dortmund Legionslager. Dabei stießen sie nicht auf Urwald, sondern auf eine erschlossene Kulturlandschaft und sogar auf einigen Wohlstand.

Davon erzählen auch die Schätze aus einem Gräberfeld des 6./7. Jahrhunderts in Dortmund-Asseln, in dem der "Herr von Asseln" und seine Gemahlin beigesetzt waren. Er wurde mit seinen Waffen, sie mit ihrem Schmuck beerdigt. Gold, Silber, Bronze, Eisen, Glas und Keramik sind die Materialien der Funde.

Im späteren Mittelalter erlangte Dortmund durch den Fernhandel überregionale Bedeutung. Vollends stand die Hansestadt an der Kreuzung des Hellwegs mit einer von Nord nach Süd verlaufenden Fernhandelsstraße in Blüte, als sie selbst Waren herstellte. Schmiedehandwerk, Gerberei, Brauwesen, Goldschmiedehandwerk und Bronzegießerei - das waren ihre Spezialitäten.

Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte ist kein Heimatmuseum, vielmehr ordnet es die Historie der Stadt ins Weltgeschehen ein. Zahlreiche Gemälde, darunter Caspar David Friedrichs "Winterlandschaft mit Kirche", zeugen davon. Ebenso haben dort eine Abteilung zur Düsseldorfer Malerschule und eine Design-Schau ihren Platz. Immer wieder aber weisen die Schaustücke die Besucher auch in die unmittelbare Umgebung des Museums, zum Beispiel in die Marienkirche am Ostenhellweg. Deren in leuchtenden Farben strahlender, im Barock allerdings brutal beschnittener Marienaltar stammt von Conrad von Soest, dem ersten namentlich bekannten Künstler, der in Dortmund arbeitete.

Gegenüber befindet sich die gleichfalls evangelische Kirche St. Reinoldi. Sie ist ein Wahrzeichen Dortmunds, benannt nach dem Heiligen und Stadtpatron Reinoldus, der angeblich ein Neffe Karls des Großen war und die Dortmunder in militärischen Auseinandersetzungen geschützt haben soll. In der Kirche steht er links des Choreingangs als überlebensgroße Holzskulptur aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts auf einem Podest; links verkörpert Karl der Große die weltliche Herrschaft. Kostbarstes Stück des Kircheninnenraums ist ein golden strahlender Altaraufsatz aus Brüssel oder Brügge mit Szenen aus dem Leben Christi und Mariens. Wer Glück hat, bekommt in St. Reinoldi dank eines probenden Chors auch die wunderbare Akustik dieser dreischiffigen Pfeilerbasilika zu spüren.

In St. Petri schließlich, der dritten der alten Kirchen in der Innenstadt, lässt sich das "Goldene Wunder von Westfalen" bestaunen: ein sechs mal sieben Meter messender Schnitzaltar aus Antwerpen mit 633 vergoldeten Figuren. Draußen taucht man gleich wieder in die Geräuschkulisse der Einkaufszone ein. Man bleibt in der Gegenwart, wenn man einige hundert Meter weiter westlich des Dortmunder Hauptbahnhofs mit dem Aufzug in den vierten Stock des "U" fährt, ins Museum Ostwall.

Auch dort erklingt Musik, allerdings sehr merkwürdige. Die Kölner Künstlerin Tina Tonagel hat dort eine elektronische Installation eingerichtet, die eine Komposition für selbstspielende Triangeln spielt. Nur ein paar Schritte weiter, neben einem Beuys-Raum, zieht in einer Ecke ein Objekt des französischen Fluxus-Künstlers Robert Filliou (1926-1987) die Blicke der Besucher auf sich: Aus einem Putzeimer mit Lappen ragt ein Schrubber mit einem handgeschriebenen Schild heraus: "Bin in 10 Minuten zurück, Mona Lisa".

Die Bestände des Museums Ostwall stammen allesamt aus dem 20. und dem 21. Jahrhundert, reichen von Macke, Nolde, Beckmann und Kirchner bis zu Wolf Vostell und den richtungweisenden Fotografen Bernd und Hilla Becher. Eine Serie schwarz-weißer Fördertürme zeigt, dass sie auch rings um Dortmund unterwegs waren. Ein Turm trägt die Bezeichnung "Gelsenkirchener Bergwerks-AG", ein anderer Schriftzug verweist auf die Zeche Hannibal in Bochum.

Von Matthias Koch, Meisterschüler von Bernd Becher, stammt eine Großfotografie von 2009, "Phoenix Ost". Sie zeigt das von Baggern fast leergeräumte Gelände des vormaligen Hüttenwerks im Dortmunder Stadtteil Hörde. Man glaubt daraus eine leise Anklage zu lesen. Doch schon ein Jahr später entstand an diesem Ort der Phoenixsee, ein künstlich angelegtes Gewässer als Zentrum eines neuen Naherholungs- und Wohngebiets.

So erzählt die Kunst im Museum auch etwas vom Wandel einer Stadt, die längst aufgehört hat, wehmütig auf ihre große Epoche der Industrialisierung zurückzublicken. Heute ist Dortmund Dienstleistungs- und Technologiestandort, die westfälische Stadt verfügt über sechs Hochschulen und 19 weitere wissenschaftliche Einrichtungen, sie ist Einkaufszentrum für ganz Westfalen und meldete erst kürzlich, dass die Einwohnerzahl wieder auf mehr als 600.000 geklettert ist.

Wer darauf zum Schluss des Kultur-Rundgangs in aller Ruhe anstoßen möchte, dem sei der Biergarten der Hausbrauerei Hövels empfohlen. Von der feinen Landeshauptstadt setzt man sich dort ziemlich selbstbewusst ab. "Ruhrpott-Sushi" ist Mett mit Zwiebeln, Gurke und Treberbrot für 6,90 Euro, "Currywurst Tremonia mit Brauhausfritten" kostet 8,90 Euro. Tradition wird hochgehalten: Tremonia ist die lateinische Bezeichnung für Dortmund.

(B.M.)
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