Venedig Kunst und Kapitalismuskritik in Venedig

Venedig · Morgen eröffnet die 56. Biennale von Venedig: mit einem Marx-Lesemarathon, viel Politik und einem deutschen Pavillon, der sich mal wieder an seiner eigenen Geschichte abarbeitet.

Alle zwei Jahre laufen sich die Besucher der internationalen Kunst-Biennale in den Giardini die Füße platt. Diesmal ist für ein schattiges Plätzchen unter Blumen gesorgt. Isa Genzken bittet vor dem österreichischen Pavillon in die Obhut von Riesenorchideen. Kein Wunder, hat doch Heimo Zobernig gegenüber die Decken abgehängt, um den historischen Glanz des Josef-Hoffmann-Baus zu vertreiben. Der schwarze Holzboden verbreitet minimalistische Ruhe. Lange verweilen möchte man trotzdem nicht. Draußen lockt das Karussell des Installationskünstlers Carsten Höller. Es lädt zum luftigen Ausklinken ein angesichts einer Großveranstaltung, die wohl nur selten so wenig Gelegenheit zur Weltabgewandtheit geboten hat wie diesmal.

Die Welt ist in all ihrer gegenwärtigen Instabilität das Thema von Okwui Enwezor (52), dem Kurator der zentralen Biennale-Ausstellung "All the World's Futures". Nur zwölf Monate hatte er für die Vorbereitung. Dennoch geht es Enwezor um nichts weniger als "das Phänomen der Globalisierung und ihre Bezüge zur Verwurzelung im Lokalen". Der geborene Nigerianer mit amerikanischem Pass ist zurzeit Direktor des Münchner Hauses der Kunst. Bereits 2002 hatte er die Leitung der Documenta 11. Dass sie ein Jahr nach dem 11. September stattfand, machte damals seinen Verzicht auf eine eurozentrische Ausrichtung nur schlüssiger. Enwezor drehte den Spieß um und ließ Künstler aus der sogenannten Dritten Welt in ihren Arbeiten den Westen sezieren.

Das Große im Kleinen auch aus der Perspektive entfernter Weltregionen zeigen zu wollen, ist ein Anliegen. Unter den 135 Künstlern kommen deshalb viele aus Afrika, Südamerika oder Asien. Wären da nicht die Live-Lesungen des "Kapitals" in der neuen "Arena" des internationalen Pavillons, die mit einem Schritt zurück in das Jahrhundert der Ideologien drohen. Ohne diese Wiedervorlage führt aber für Enwezor kein Weg in die krisengeschüttelte Jetztzeit, die für ihn vor allem durch Geld und eben die Widersprüche des Kapitals geprägt ist. Weswegen die Performance um Karl Marx' Hauptwerk von Schauspielern nicht als visuelles Drama geboten wird, sondern als Siegeszug der Worte. Weswegen auch Andreas Gursky im internationalen Pavillon mit seinen Börsen-Bildern vertreten ist und der vor einem Jahr verstorbene Harun Farocki sein Gesamtwerk von 87 Filmen postum als geballte Ladung Kapitalismuskritik beisteuern darf.

Auch die Kuratoren der rund 90 Länderpavillons, die sich um den Goldenen Löwen bewerben, sollen nach Enwezors Willen "die gegenwärtige Unruhe unserer Zeit" in ihre Konzepte einfließen lassen. Die Sonderschau des deutschen Pavillons erfüllt die Vorgaben fast schon übermotiviert. Sein Leiter Florian Ebner, der am Essener Folkwang- Museum für die Fotografie-Sammlung verantwortlich zeichnet, ist ein Solitär auf dem Posten. Noch nie besetzte ein Foto-Experte diese Position. Der 44-Jährige hat bereits das Fotomuseum in Braunschweig geführt und ist mit einer Ausstellung über die Rolle der Bilder während der ägyptischen Revolution aufgefallen. Eine perfekte Visitenkarte für Enwezors Biennale. Auch dort geht es um die Politik der Bilder im digitalen Zeitalter. Die vier künstlerischen Positionen sind nicht der Fotokunst zuzurechnen; sie stammen von Künstlern, die in die Wirklichkeit eingreifen wollen, so Ebner.

Susanne Gaensheimer, Kuratorin von 2011 und 2013, machte es zuletzt vor. Das Deutsche am deutschen Pavillon gibt sich international. Eigentlich ein simpler, aber immer noch wirksamer Kunstgriff, um dem monumentalen Bau ein weltoffenes Update zu verpassen. 1909 entstand er als bayerischer Pavillon. 1938 wurde er den Idealen der Nazis angepasst. Zur gemischten Gruppenmannschaft gehört der in Halle geborene Medienkünstler Olaf Nicolai. Er ist unter das Dach mit einer unsichtbaren Werkstatt eingezogen, die sieben Monate unsere Wahrnehmung verändern soll. Eine Performance, die in ihrer Verhuschtheit offenbar entschleunigen und den Blick auf Alternativen im kapitalistischen Trott schärfen möchte.

Im Hauptraum sorgt eine von Ebner eingezogene Etage für menschliches Maß. Seine Art, auf die zwölf Meter hohen Wände zu reagieren. Die Münchner Filmemacherin Hito Steyerl greift in ihrer Videoinstallation "Factory of the sun" auf Computerspiele zurück, um die Fallstricke der digitalen Kultur auszuleuchten. Das ägyptische Duo Jasmina Metwaly und Philip Rizk setzt in den Seitenflügeln auf einen Film mit Laiendarstellern, der die Ära Mubaraks unter ökonomischen Gesichtspunkten analysiert. Tobias Zielony, mit dem Ebner schon gearbeitet hat, ist der einzige Fotograf. Seine Fotoinstallation "The Citizen" taucht im Hauptraum in das Leben von afrikanischen Flüchtlingen in Berlin und Hamburg ein. Ein umgebautes Haus mit fünf Parteien, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Am Puls der Zeit sind sie alle.

(RP)
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