Der Mythos Che Guevara Abziehbild eines Revolutionärs

Düsseldorf · Heute wäre Che Guevara 80 Jahre alt geworden. Doch sein früher Tod im Guerrilla-Kampf verlieh ihm ewige Jugend. Sein Konterfei ziert T-Shirts, Kaffeetassen, Unterwäsche. Warum nur ist dieser Mann, der ein Mörder war, so beliebt?

Che Guevara bleibt ewig jung
9 Bilder

Che Guevara bleibt ewig jung

9 Bilder

Es ist ganz eigenartig mit diesem Che: Er war ein Dilettant, ein Versager, ein Unbelehrbarer, ein Mörder, ein Verbohrter — und trotzdem lieben ihn die Menschen. Das ist ein gutes Zeichen.

Sie tragen ihn auf T-Shirts auf ihren Leibern, sie drehen Filme über ihn wie soeben der Regisseur Steven Soderbergh, sie bewerben Autos wie aktuell den Kombiwagen Dacia Logan, sie hängen sein Konterfei an die Wand, tätowieren es sich in die Haut.

Heute, an seinem 80. Geburtstag, ist der 1967 ermordete Che Guevara in aller Munde. Und wenn man sich die Lebensgeschichte dieses Mannes so ansieht, dann könnte man auf den Gedanken kommen, dass in Wahrheit niemand so recht an dem Bürgersohn aus Rosario in Argentinien interessiert ist. Der Kult um Che hat weniger mit Che zu tun, vielmehr mit den Menschen selber: Die Bewunderung für Che ist Träumerei, der Traum vom besseren Selbst.

Das Einzige, was man zweifelsfrei belegen kann im Leben des Ernesto Guevara, den sie "Che", den Kumpel nannten, ist seine jugendliche Reise mit dem Motorrad durch Südamerika. Der Medizin-Student behandelte die Armen, ein motorisierter Samariter, er las Pablo Neruda, schrieb selbst ein paar Verse, fantasierte über den Marxismus, flirtete ein bisschen herum — es muss eine bukolische Zeit gewesen sein.

Dann traf er Fidel Castro, und das Unheil nahm seinen Lauf, Che zog die Uniform an. Gemeinsam stürmte man Kuba, richtete sich dort im jahr 1959 die Beletage ein: Fidel diktierte, Che durfte die Anhänger des Vorgänger-Regimes exekutieren lassen. Manche Quellen sprechen von bis zu 700 Hinrichtungen, die Guevara organisiert haben soll.

Er wurde Leiter der Nationalbank, später Industrieminister. Er legte Blumen am Stalin-Denkmal ab, er kämpfte während der Kubakrise gegen den Abzug der sowjetischen Atomraketen, und er sagte: "Der Individualismus als solcher muss in Kuba verschwinden." Der Schriftsteller Maxim Biller schrieb dazu: "Che war ein Verbrecher, er lässt mich kalt. Er hat für 50 Jahre Diktatur gesorgt."

Che erlebte nur wenige von diesen vielen Jahren mit, er verließ Kuba, seine etwas eigenartige Mission war der Kampf gegen den Imperialismus — eigenartig deshalb, weil er ihn vorzugsweise in Busch und Dschungel ausfocht. Im bolivianischen Urwald schließlich töteten ihn die Häscher des CIA. Kurz vor seinem Tod, so die Legende, soll er dem Henker zugerufen haben: "Ziel gut, du wirst einen Mann töten." Die Fotos von seinem geschundenen Leichnam sind anrührend: Ecce Homo. Che war tot, und es begann sein zweites Leben: Die Popkultur bemächtigte sich seiner, machte aus ihm den Heiligen, eine Mutter Teresa des Guerillakampfes.

Es gibt dieses Foto, von Alberto Korda 1960 im Hafen von Havanna aufgenommen. Es zeigt keinen Mörder, sondern einen Menschen mit Barett und darunter hervorwallendem Haar im Moment größtmöglicher idealistischer Verdichtung. Es zeigt einen neuen Novalis, einen Schwärmer, einen Kämpfer für das Recht, zärtlich, romantisch. So jedenfalls wurde das Portrait in seiner Zeit aufgenommen, es waren die Jahre, als die Jugend aufbegehrte, Hendrix, Stones, und sie benötigte ein Symbol, ein Erkennungsmerkmal, einen Code. Che erfüllte alle Anforderungen: anti-amerikanisch, in marxistischer Theorie geschult, gut aussehend, wütend, draufgängerisch, zum Äußersten bereit — ein "Jesus mit Knarre", wie Wolf Biermann dichtete. Also wurde drauflos projiziert.

Che und sein Konterfei lösten sich im Laufe der Zeit völlig vom Menschen, von der historischen Gestalt ab. Die Popkultur schliff das Grauenhafte dieses Mannes weg und die Tatsache, dass er seit dem kubanischen Aufstand nur Debakel erlebt hatte. Che wird wie ein schlechter Popsong, der bei einem besonders schönen Erlebnis gespielt wurde, nur noch mit Gerechtigkeit, Güte und der Revolution zu mehr Menschlichkeit assoziiert: Wären doch alle so wie Che! Che wurde zum Luftgeist, zu einer Mischung aus Punk und Puck, zu einem Wesen aus dem Bereich der Sehnsucht, zum letzten Einhorn, alles Menschenlichen beraubt, reine Theorie, ein Ideal. Die Maßstäbe der Realpolitik, der Historie gar, sie passen nicht mehr auf ihn.

Heute ist Che nur mehr Zitat, buchstäblich ein Abziehbild. Viele Menschen, die diesen Namen hören, müssen zuerst schmunzeln: "Ach ja, Che", seufzen diejenigen, die ihn noch erlebt haben, weil sie nicht an Südamerika und Zucker-Monokultur denken, sondern an Aufbruch und Jugend, an WG und libidinöse Nächte. Die meisten hingegen, die heute ein Che-T-Shirt tragen, die sich sein Portrait auf die Schultasche kleben, wissen vermutlich nicht so ganz viel über sein Leben. Aber das ist in Ordnung, es ist sogar gut. Weil es den Glauben in das Gute nicht trübt, weil es auf Transzendenz hoffen lässt: Die Gegenwart des umgedeuteten Che zeugt von politischer und kultureller Einbildungskraft, von Eigenständigkeit, vom Willen zur Verbesserung.

Hätte es Che nicht gegeben, man hätte ihn erfinden müssen.

(RP/RPO)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort