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China sperrt kritischen Künstler weg Ai Weiweis Schicksal ist ungewiss

Peking (RP). Nach der Festnahme des chinesischen Konzeptkünstlers Ai Weiwei in Peking, äußern Menschen in China in versteckten Botschaften im Internet ihre Sorge und Empörung. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) fordert die chinesische Regierung auf, den Künstler sofort freizulassen. Menschenrechtsaktivisten sagen, in China sei mittlerweile niemand mehr sicher.

 Der bekannte Künstler Ai Weiwei sitzt in Haft.

Der bekannte Künstler Ai Weiwei sitzt in Haft.

Foto: dapd, dapd

Polizisten treten ins Bild, stellen sich vor dem Eingang zum Atelier des weltbekannten Konzeptkünstlers Ai Weiwei auf. Mehr ist von den TV-Nachrichten des britischen "BBC" im chinesischen Internet nicht mehr zu sehen. Chinas Medienwächter haben an ihren Monitoren den Ausschaltknopf gedrückt. Für diese Art der Zensur gibt es in China einen Namen: "wegharmonisieren" — in Anspielung auf die offizielle Propaganda-Losung, wonach Chinas Gesellschaft zur "Harmonie" zu führen ist.

Am Sonntag früh haben die Behörden Ai Weiwei "harmonisiert". Immer wieder hat der 53-Jährige, politisch engagierte Künstler davor gewarnt, dass China mit seiner willkürlichen Verfolgung von Andersdenkenden zum "Polizeistaat" verkommt. Nun erfährt er am eigenen Leib, wie Recht er hat. Kurz vor seinem Abflug nach Hongkong wird er am Pekinger Airport von Polizisten gestoppt und abgeführt. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Seit den arabischen Revolutionen, vor denen chinesische Parteiführer so große Angst haben, weil sie das eigene Volk anstecken könnten, sind rund 30 Bürgerrechtler verschleppt worden. Ai Weiweis Mobiltelefon ist ausgestellt. Seine Frau Lu Qing weiß nicht, wo er ist.

"Niemand ist mehr sicher"

Am Wochenende drangen Polizisten zur Razzia in Ai Weiweis Anwesen in Pekings Nordstadt ein. Sie nahmen acht Mitarbeiter vorübergehend zum Verhör mit, beschlagnahmten Laptops und Aufzeichnungen. Worum es geht, was die Behörden Ai Weiwei anhängen möchten, erfuhren sie nicht. Nachbar und Rockmusiker Zuoxiaozuzhou schreibt in seinem Internet-Blog: Bei der Hausdurchsuchung habe sich die Polizei chaotisch und hektisch nervös verhalten. So, "als ob sie nach etwas suchten, ohne es zu finden."

Für Nicolas Bequelin, Sprecher der Menschenrechtsorganisation "Human Rights Watch" in Hongkong, ist das Signal klar: "Niemand ist in China mehr sicher, egal wie berühmt er auch ist." Pekings Parteiführer scherten sich weder um internationalen Gesichtsverlust, noch um ihre eigenen Gesetze, wenn sie sich bedroht fühlten.

Sie warteten, bis Westerwelle weg war

Sozialwissenschafter nehmen Peking in Schutz, verweisen auf innere Spannungen und billigen dem Land zu, dass es mitten in der Umstellung seiner Wirtschaftsweise zu langsameren Wachstum steht und extreme soziale Ungerechtigkeiten zu überwinden hat. Parteidissidenten aber vermuten im Hintergrundgespräch, dass sich hinter der "harmonischen" Kulisse der Parteiherrschaft Grabenkämpfe der KP-Führer über den weiteren Entwicklungsweg verbergen. Ende 2012 wird eine neue Parteiführung das Erbe der jetzigen Führer antreten. "Betonköpfe" positionierten sich dabei besser als "Reformer".

Ai Weiweis Verschwinden wirkt unmittelbar nach dem Abflug Außenminister Westerwelles aus Peking, als hätten die Behörden abgewartet, um ihre Abrechnung mit dem Systemkritiker nicht zum Affront werden zu lassen. Westerwelle hatte eine von den deutschen Museen Berlin, Dresden und München arrangierte Großausstellung "Die Kunst der Aufklärung" im neuen Nationalmuseum Pekings eröffnet. Er äußerte dabei seine Hoffnung, damit einen Dialog über die Werte der Aufklärung anzustoßen.

Subtiler Widerstand

Betroffen forderte Westerwelle nun von Berlin aus Peking zu ganz anderer Aufklärung auf: "Ich appelliere an die chinesische Regierung, dringend für Aufklärung zu sorgen. Ich erwarte, dass Ai Weiwei umgehend wieder frei kommt." Empörung macht sich auch in China im Internet Luft. Hunderte wählten Fotos oder Abbildungen von Kunstwerken Ai Weiweis als Logo für ihre Blogs. Sie riefen sogar zu "Protestspaziergängen" auf.

Der Blogger Zhang Lifan kalligrafierte das Schriftzeichen für "Liebe" in Pinselschrift. Es wird "Ai" ausgesprochen im gleichen Klang wie das "Ai" im Namen von Ai Weiwei. Zhang setzte zum "Ai" zweimal die Buchstaben "W" mit Blumenmotiven und schrieb ein bekanntes Gedicht über Chinas Ahnengedenktag dazu, das Qingming-Fest. Da heute "Qingming-Tag" ist, an dem Blumen an die Gräber gebracht werden, fiel sein Motiv den Zensoren nicht auf. Er hatte aber einige Schriftzeichen in dem Gedicht so verändert, dass es eine Hommage auf Ai Weiwei wurde.

In Chinas Geschichte hat Widerstand durch versteckte Anspielungen Tradition und ist ein Zeichen für den gärenden Unmut unter Intellektuellen. Viele Internet-Autoren nutzten den Qingming-Tag, um Kritik zu üben: "An diesem Totengedenktag verbeugen wir uns vor dem gestorbenen Recht und beklagen den Tod so vieler Begriffe, die wir im Internet nicht aufrufen dürfen."

(RP)
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