Philosophen (14) Carl Schmitt — Denker der Zuspitzung

Düsseldorf (RP). Noch Jahre nach seinem Tod stimulieren die Thesen des Rechts-Philosophen Carl Schmitt das politische Denken. Der abgründige Charakter macht sich im Dritten Reich als "Kronjurist der NS-Diktatur" schuldig. Der scharfe Geist wird nach 1949 als origineller Konservativer von Schülern aller politischen Lager geschätzt. Seine Theorien bleiben eine Herausforderung.

Das Denken von Carl Schmitt ist kalt und klar, und es kennt nur das Entweder-Oder. Der 1985 gestorbene Verfassungstheoretiker ist kein systematischer Denker, eher ein radikaler Ideologe im ursprünglichen Sinn. Seine Gedankenwelt wird von Ideen beherrscht, von Thesen, Annahmen und Setzungen. Sie können Schlaglichter auf die Wirklichkeit werfen, sie vermögen sie aber nicht vollständig auszuleuchten.

Diesen Intellektuellen interessiert das Politische, also die Macht und wie sie bewahrt und verteidigt werden kann, wie der Staat die Ordnung schützt. Schmitt ist ein Geistesverwandter von Macchiavelli und Hobbes, zudem eng verbunden mit den Zeitläuften des 20. Jahrhunderts und den Erfahrungen der Diktatur. Machtstreben und Machterhalt sind für Schmitt sozialdarwinistische Naturgesetzlichkeit, die sich stets gegen die Errungenschaften der Aufklärung behaupten wird und stärker ist als das Menschliche und die Menschlichkeit.

Sein Konzept: Rigorosität statt Unverbindlichkeit

Schmitt gehört zum enttäuschten Bürgertum der 1920er Jahre. Der 1888 im westfälischen Plettenberg geborene Sohn eines katholischen Krankenkassenverwalters betrachtet die Moderne als Krise, politisch wie sprachlich und metaphysisch. Gegen die als dekadent empfundene neue Zeit setzt er sein Konzept vom Ernst des Lebens: Rigorosität statt Unverbindlichkeit. Der marienfromme Abiturient studiert Rechtswissenschaft in Berlin, München und Straßburg. Er wird mit 22 Jahren mit einer Dissertation über "Schuld und Schuldarten" promoviert. Nach der Habilitation lehrt er Verwaltungsrecht, Völkerrecht und Staatstheorie.

Schon in seinen frühen Veröffentlichungen fällt der Stil Schmitts ins Auge. Der ehrgeizige und blitzgescheite junge Mann schreibt nicht wie ein Jurist, sondern wie ein Dichter. Er benutzt Sprache strategisch, kann Effekte setzen, das Tempo variieren, mal poetisch, dann mit Wucht formulieren. "Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet", so lautet sein berühmtester Satz, zu finden in der "Politischen Theologie" von 1922. Seine Ideen umreißt er scharf, er findet prägnante Begriffe, aber er neigt in seinen Büchern zu Verrätselung und Mystifizierung. Er schöpft aus Theologie, Staatslehre und Mythos, aus Philosophie und Dichtung.

Führender Staatsrechtler der Weimarer Republik

In der Weimarer Republik steigt Schmitt zum führenden Staatsrechtler auf; vor allem die 1928 publizierte "Staatslehre" sorgt für Aufsehen. Kein anderer Verfassungstheoretiker mit Ausnahme von Rudolf Smend hat so tiefe Spuren in der verfassungsrechtlichen, politologischen und zeitgeschichtlichen Diskussion hinterlassen wie er.

Von den Versailler Verträgen indes hält er nichts. Er engagiert sich gegen Republik, Parlamentarismus und Pluralismus und streitet für staatliche Autorität und starke Präsidialgewalt. Mit seinen Einlassungen trägt er dazu bei, den Glauben an die Weimarer Verfassung und den Willen zu ihrer Verteidigung zu untergraben. Er wird zum "geistigen Wegbereiter, juristischen Verteidiger und Mitläufer der NS-Diktatur", schreibt der Politologe Kurt Sontheimer. Die Gründe dafür sind umstritten. In seinen Tagebüchern finden sich ekelhafte Ausfälle gegen das Judentum ebenso wie Freude über die unverhofften Aufstiegsmöglichkeiten im neuen System.

Am 1. Mai 1933 tritt er der NSDAP bei. Er wird in den preußischen Staatsdienst berufen, gibt die "Deutsche Juristen-Zeitung" heraus, wird Mitglied in der Akademie für Deutsches Recht und leitet die Gruppe der Universitätslehrer im NS-Juristenbund. Er rechtfertigt Papens Staatsstreich gegen Preußen vor dem Leipziger Reichsgericht und rühmt nach der Röhm-Affäre in dem Artikel "Der Führer schützt das Recht" die Morde als "Tat echter Gerichtsbarkeit des Führers". Carl Schmitt wird zum "Kronjuristen des Dritten Reichs". Er hilft mit Aufsätzen und Kommentaren, Hitlers Politik nach außen und innen den Schein der Legitimität zu geben.

In Nürnberg verhört, nie angeklagt

Nach Ende der NS-Diktatur internieren ihn die Amerikaner für fast zwei Jahre. Er wird in Nürnberg verhört, zur Anklage kommt es nicht. 1947 kehrt er mit lebenslangem Berufsverbot belegt, aber als freier Mann nach Plettenberg zurück. In der Haft, so heißt es, musste er zwei Schriften ausarbeiten: eine, die auf schuldig plädierte, eine andere auf Freispruch. Erstere soll die brillantere gewesen sein.

Sein Haus in Westfalen ist bis zu seinem Tod ein Pilgerort; die Elite der frühen Bundesrepublik findet sich dort ein, um Schmitt zu hören. Und nicht nur Konservative kommen zu Besuch: "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein sucht Schmitts Rat, Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, Alt-Historiker Christian Meier, Publizist Johannes Gross und Historiker Reinhart Koselleck gehören zu den Gästen. Auf dem Bücherbord der RAF-Terroristen in Stammheim steht Schmitts späte Schrift "Theorie des Partisanen", die Philosophen Gilles Deleuze und Giorgio Agamben berufen sich auf ihn. Ob Freund oder Gegner, alle lernen von oder gegen Schmitt. So trägt er — ohne es zu wollen — zur Präzision der bundesdeutschen politisch-intellektuellen Debatte bei.

Es gibt bei ihm keine Versöhnung - der Gegner muss getötet werden

Die Faszination durch die geistvolle und gebrochene Person und das originelle und raunende Werk des Antidemokraten Schmitt, der nie etwas zurücknimmt oder öffentlich bereut, mag sich durch das Extreme seiner Gedanken erklären. Carl Schmitt denkt den Ausnahmezustand; die Ausnahme interessiert ihn stärker als die Regel. Es geht bei ihm immer um die Lösung eines Konflikts. Ein Kernbegriff seiner Schriften ist die "Entscheidung", sie ist herbeizuführen, selbst wenn mit ihr Zerstörung einhergeht. Seine Theorie des Dezisionismus stellt die souveräne politische Entscheidung über die Diskussion, über das "ewige Gespräch". Die Essenz der Politik ist bei Schmitt die Bestimmung des Feindes, der bis zur Eliminierung zu bekämpfen ist.

Schmitt ist der Denker der Zuspitzung und Radikalisierung. Er möchte die Macht aus ihrer liberalen Verstrickung befreien, von langwierigen Normstreitigkeiten, parlamentarischem Palaver, Parteienkompromiss und Verbände-Pluralismus. Der Ausnahmezustand, die Krise ist dabei der dunkle Hintergrund, von dem sich Schmitts leuchtendes Ideal abhebt: die unangefochtene Entscheidung des Machthabers, die keiner Diskussion bedarf. Das Recht ist dabei das Instrument der Macht. "Die Wirklichkeit der Macht geht über die Wirklichkeit der Menschen hinweg", heißt es bei ihm. Eines seiner Lieblings-Bonmots ist der Satz des spanischen Gegenrevolutionärs Donoso Cortés (1809 bis 1853): "Der Liberalismus antwortet auf die Frage des Pilatus, ob er Jesus oder Barrabas freilassen soll, mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses."

Spätestens wenn man die polemische Logik Schmitts auf konkrete politische Belange überträgt, wird sein Denken moralisch anstößig. Es gibt darin keine Synthese, keine Versöhnung von Freund und Feind — der Gegner muss bei ihm getötet werden. Aber Schmitt positioniert sich bewusst in einer fiktiven Ausnahmesituation, er denkt außerhalb der Normalität. Wenn man seine Theorie also als freie Form und unabhängiges Konstrukt begreift, eröffnen sich anregende Perspektiven etwa auf den Zugang zur Macht im Medienzeitalter. Selbst der absolute Herrscher ist bei Schmitt abhängig von Informationen durch Berater. Schmitt schlüsselt auf, wie hoch der Anteil eines jeden Zuträgers an der Macht ist und kann dem Leser Illusionen nehmen über die realen Machtkämpfe, die auch in der Demokratie ausgefochten werden.

Will man Schmitt auf einen Nenner bringen, ist er der "Theoretiker des europäischen Zentralstaates, der den konfessionellen Bürgerkrieg beendet, das Politische seiner Kontrolle unterworfen und die Freund-Feind-Unterscheidung auf das zwischenstaatliche Verhältnis begrenzt hat". So formuliert es der Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Schmitt ist ein Begriffstheoretiker, der Spannung aufbaut, indem er Gegensätze wie Freund-Feind, Legalität-Legitimität und Nomos-Gesetz bildet. Er denkt über die Emanzipation des Politischen aus der Ordnung des Staates nach und über das Auftauchen politischer Akteure, die an keinerlei Territorialität mehr gebunden sind. Man darf von ihm keine Antworten erwarten, er spitzt Probleme lediglich zu. Er konfrontiert seine Leser mit dem Problem der Verantwortung des Geistes für das Recht. Er bleibt eine Herausforderung.

(RP)
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