Kunstsammler lenkt ein Gurlitt lässt Herkunft der Bilder prüfen

München · Der Bund, der Freistaat Bayern und der Kunstsammler Cornelius Gurlitt sind sich einig: Alle Bilder des Kunstfunds, die im Verdacht stehen, NS-Raubkunst zu sein, werden auf ihre Herkunft untersucht und gegebenenfalls erstattet.

Was die Bundesregierung, das bayerische Justizministerium und vor allem ungezählte Erben von Kunstwerken erhofften, deren Besitzer während der Zeit des Nationalsozialismus enteignet wurden, wird Wirklichkeit: Cornelius Gurlitt, Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, will nun freiwillig untersuchen lassen, bei welchen seiner ererbten Bilder es sich um NS-Raubkunst handelt. Diese Werke sollen an ihre Besitzer zurückgegeben werden. Andere bleiben möglicherweise in staatlichem Gewahrsam.

"Wir sind sehr froh, dass wir mit Herrn Gurlitt und seinen Anwälten einen Vertrag abschließen konnten, unabhängig vom laufenden Strafverfahren", so äußerte sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Dieser Vertrag — genauer: diese "Verfahrensvereinbarung" — ist das Ergebnis wochenlanger Verhandlungen zwischen Vertretern der Bundesregierung und der bayerischen Justiz einerseits und den Anwälten des 81-jährigen, schwer kranken Kunstsammlers andererseits. Damit hat Gurlitt vollendet, was er bereits im März begonnen hatte. Damals hatte er die Anweisung erteilt, alle Werke, die unter begründetem Raubkunstverdacht stehen, an die jüdischen Eigentümer zurückzugeben. Jetzt ist auch der Weg zu einer Untersuchung aller übrigen Bilder frei. Die Vereinbarung soll allerdings nur gelten, wenn die Beschlagnahmung der 1280 Werke in München, die vor zwei Jahren Aufsehen erregte, aufgehoben wird. Damit sei bald zu rechnen, heißt es.

Die Taskforce "Schwabinger Kunstfund" werde alle betroffenen Bilder binnen eines Jahres überprüfen, verlautete gestern in einer von allen beteiligten Seiten verbreiteten Meldung: "Kunstwerke, für die innerhalb der Jahresfrist die Provenienzrecherche durch die Taskforce nicht abgeschlossen wurde, werden an Cornelius Gurlitt herausgegeben". Gurlitt darf künftig zumindest einen Wissenschaftler in die Taskforce entsenden, damit seine Interessen gewahrt sind. Der Bund und der Freistaat Bayern übernehmen die Kosten der Herkunftsforschung. Das gilt auch für Bilder aus dem Besitz Gurlitts, die zurzeit nicht beschlagnahmt sind. Auch in seinem Salzburger Haus waren kürzlich zahlreiche wertvolle Werke gefunden worden; darauf haben die deutschen Behörden allerdings keinen Zugriff. In dem verwahrlost wirkenden Anwesen waren sie auf 238 Kunstgegenstände gestoßen, darunter Ölgemälde und Aquarelle von Monet, Renoir, Manet, Gauguin, Liebermann und Cézanne. Bislang stehen 500 Objekte im Verdacht, Nazi-Raubkunst zu sein. "Auf der ganzen Welt schaut man darauf, welche Antwort wir auf diese Fragen finden — und diese Vereinbarung ist eine gute Antwort", erklärte Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU). In der Tat war es höchste Zeit, dass den Absichtsbekundungen der Behörden Taten folgen. Denn aus dem Ausland drang immer häufiger die Forderung nach Deutschland, reinen Tisch zu machen und die Herkunft der aufgefundenen Bilder nicht nur möglichst rasch zu klären, sondern daraus auch schnellstmöglich Konsequenzen zu ziehen — das heißt: sie, wenn die Sachlage es erfordert, umstandslos an die Erben der Besitzer zurückzugeben.

Wie optimistisch die Aussage ist, dass die Recherchen innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein sollen, lässt sich daran ablesen, dass sich im Fall von Henri Matisses kurz vor der Restitution stehendem Gemälde "Sitzende Frau" nun ein zweiter Anspruchssteller gemeldet hat. Das Bild stammt aus dem Schwabinger Teil des Funds. Die Staatsanwaltschaft will das Werk an die Erben des jüdischen Vorbesitzers herausgeben, "wenn eine entsprechende Vereinbarung vorgelegt wird und der Betreuer des Beschuldigten mitteilt, dass aufgrund dessen das Bild herausgegeben werden darf". Die Vereinbarung zwischen Gurlitt und den Enkelinnen des Pariser Kunsthändlers Paul Rosenberg, Marianne Rosenberg und Anne Sinclair, sollte eigentlich in dieser Woche unterzeichnet werden. Jetzt wird sich die Rückgabe verzögern — oder gar zerschlagen.

Die Meldung, dass Cornelius Gurlitt seine Bilder untersuchen lasse, wurde gestern als "Durchbruch" gefeiert. Doch mit der Sichtung der Münchner und Salzburger Schätze ist es nicht getan. Kürzlich tauchte in Chicago ein Gemälde aus der Kollektion von Gurlitts Vater auf und lenkte den Blick darauf, dass Hildebrand Gurlitt nach dem Krieg weiter mit Kunst handelte, womöglich auch mit NS-Raubkunst. Gibt es vielleicht weitere Bilder, die zwar zur Sammlung Gurlitt zählen, nicht aber zu den Beständen aus München und Salzburg? Der Durchbruch könnte sich als Durchbruch zu einem noch größeren Arbeitsfeld für die Herkunftsforscher erweisen. Dann wäre die angestrebte Jahresfrist bloß ein frommer Wunsch.

(RP)
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