Kulturgeschichte Das Geheimnis des Heiligenscheins

Menschen mit Heiligenschein finden sich fast nur noch in Comics. Ursprünglich bezeichnete die Gloriole höchsten sakralen Ernst.

 Hildegard von Bingen mit einem Heiligenschein.

Hildegard von Bingen mit einem Heiligenschein.

Foto: dpa, Bifab

Die Zeit der Heiligenscheine ist vorbei, könnte man denken. Wir leben im Zeitalter der Scheinheiligen. Doch gerade die tragen auf Abbildungen oftmals einen Schein um den Schädel. Für Comiczeichner, Karikaturisten, Grafiker und Fotografen zählt der Schein zum unabdingbaren Motivschatz. Sie verleihen ihn Models ebenso wie Prominenten, und es gibt kaum einen Politiker, der nicht schon einmal vor einer runden Lampe abgelichtet worden wäre, die über seinem Kopf erstrahlte. Wenn Dieter Bohlen in einer RTL-Werbung lichtscheinbekränzt fleht: "Herr, schick Talent vom Himmel", ist das zwar humorig, doch Originalität können solche Inszenierungen nur mehr begrenzt für sich beanspruchen.

Um zu den originalen Heiligenscheinen zu gelangen, muss man schon in die Geschichte hinabsteigen; nicht nur zu Jesus und Maria oder den zwölf Aposteln, sondern tiefer noch: zu jenen Glorienscheinen und Strahlenkronen, die auf Abbildungen schon vor dem Christentum bedeutende Köpfe, ja sogar den gesamten Körper umgaben.

Auf den Ikonen des Christentums entfalteten die Heiligenscheine dann jene Strahlkraft, die bis heute selbst die Bezirke des Nichtsakralen erhellt. Lichtscheiben legen sich da um das Haupt Gottes, eines Heiligen oder eines Engels. Wenn ein Heiligenschein eine ganze Figur umgibt, nennt man ihn eine Aureole. Als Mandorla in ovaler Form ist er Christus und Maria vorbehalten. Außerdem werden die drei göttlichen Personen oft mit einem Kreuznimbus dargestellt: einer Lichtscheibe mit eingeschriebenem Kreuz.

Im Heiligenscheinwesen gibt es noch mehr Unterscheidungen. Im frühen Mittelalter wurden noch lebende, nichtheilige Personen - darunter Päpste - mit einem rechteckigen Heiligenschein ausgezeichnet. Die Wurzeln dieses markanten, adelnden Gebildes liegen in der altorientalischen Kunst. Man findet es sowohl in der indischen als auch in der ostasiatischen Kultur.

So begleitete der Heiligenschein die Menschheit durch Jahrtausende. Römische, als Götter verehrte Kaiser sind teilweise mit Nimbus auf ihren Münzen abgebildet, Sonnengötter wie Mithras und Helios tragen einen Strahlenschein oder eine Sonnenkrone, und man merkt schon, was die frühen Christen daran fesselte: die Lichtsymbolik.

Bei Matthäus und Johannes kann man Christi Worte nachlesen: "Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben." In Bildern unterstreicht der zumeist golden glänzende Heiligenschein diesen Lichtcharakter der Frohen Botschaft.

Vom 2. Jahrhundert an umgab die antike Gloriole zuerst den Gottessohn und die Päpste, dann den dreifaltigen Gott und die Engel, später die Gottesmutter und am Ende auch die Heiligen. Dabei spiegelt der Kreuznimbus die göttliche Dreifaltigkeit aus Gott dem Sohn, Gott dem Vater und Gott dem Heiligen Geist.

Wer sich hierzulande von der Vielfalt der Heiligenscheine überzeugen will, die Gestalter von Kirchenfenstern und Maler erdacht und ausgeführt haben, braucht lediglich ein Gotteshaus zu betreten. Dort wird sich ihm zeigen, dass es Heiligenscheine auch in Blau oder Weiß gibt, dass sie schweben können oder fest mit dem Kopf verbunden zu sein scheinen.

Zwei markante Heiligenscheine in unserer Region sind im Kölner und im Altenberger Dom zu bewundern. Das aus Eichenholz geschnittene Gerokreuz im Kölner Dom ist mit einer Höhe von 2,88 Metern eines der ältesten erhaltenen Großkruzifixe im Europa nördlich der Alpen, in Auftrag gegeben vermutlich vom Kölner Erzbischof Gero. Es stammt aus der ottonischen Zeit zum Ende des 10. Jahrhunderts und gilt als eine der ersten Monumentalskulpturen des Mittelalters. In der Geschichte der abendländischen Ikonografie verkörpert es die Wende in der Darstellung des christlichen Erlösers, der ehedem meist heldenhaft und siegreich in aufrechter Pose dargestellt wurde und nun erstmals leidend und als Mensch gezeigt wird. Zahlreiche Bildhauer des Mittelalters nahmen diese Skulptur als Vorbild für eigene Christus-Darstellungen. Der riesige goldene Strahlenkranz, der den Gekreuzigten zusätzlich zum Heiligenschein umgibt, wurde erst später hinzugefügt, 1683.

In der Vierung über dem Zelebrationsaltar des Altenberger Doms bei Bergisch Gladbach hängt frei die "Altenberger Madonna", eine Figur im Strahlenkranz, die aus dem Jahr 1530 stammt. Sie ist doppelseitig geschnitzt und schwebt weltentrückt in einem goldenen Rahmen, einer Aureole im XXL-Format.

Selbstverständlich tragen auf alten Abbildungen auch diejenigen einen Heiligenschein, die bereits in diesem Begriff eine Rolle spielen. Heilige sind Verstorbene, denen der Papst nach einem kirchenrechtlichen Verfahren diese Bezeichnung verliehen hat. Voraussetzung sind entweder das Erleiden eines Martyriums oder der Nachweis eines heroischen Tugendgrads. Bei Kandidaten, die keine Märtyrer waren, wird zudem der Nachweis eines Wunders gefordert. Mit einer Heilig- oder Seligsprechung bekundet die Kirche das Vertrauen, dass der betreffende Mensch die Vollendung bei Gott bereits erreicht hat.

Der Heiligenschein markiert eine solche Auszeichnung. Von der Akzentuierung der Mächtigen hat seine Funktion sich gewandelt zu einer Hervorhebung des christlichen Vorbilds. Nirgends tritt das so kräftig zutage wie in den Ikonen der Ostkirche. In Andrej Rubljows Dreifaltigkeitsikone, die um 1400 entstand, sind alle drei Figuren von einem goldenen Schein umgeben. Schon allein in der Verwendung des kostbaren Edelmetalls drückt sich hier und in anderen Ikonen die Bedeutung des Heiligenscheins aus.

An Scheinheilige dachten die alten Meister noch nicht, als sie das Blattgold auftrugen. Sie verrichteten ihr kunstvolles Handwerk aus dem festen Glauben, dass es Heilige gibt, die unser aller Verehrung verdienen - und einen glänzenden Schein dazu.

(RP)
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