Serie: Die Top 10 Der Kunst Im Rheinland (4) Die Mona Lisa von Duisburg

Duisburg · Zu den anrührendsten Skulpturen in rheinischem Museumsbesitz zählt die "Kniende" von Wilhelm Lehmbruck. Das Duisburger Lehmbruck-Museum zeigt eine Gips-Version in der Schausammlung, eine Bronze-Version lagert im Depot.

 Das Duisburger Lehmbruck-Museum zeigt eine Gips-Version der "Knienden" in der Ausstellung, eine Bronze-Version lagert im Depot.

Das Duisburger Lehmbruck-Museum zeigt eine Gips-Version der "Knienden" in der Ausstellung, eine Bronze-Version lagert im Depot.

Foto: dpa, Johanna Uchtmann

Wilhelm Lehmbruck zählt zu den großen, tragischen Gestalten der Kunstgeschichte. Sein Leben und sein Schaffen vollendeten sich früh: 1881 kam er in Meiderich zur Welt, 1919 brachte er sich in Berlin um. Dazwischen lagen die Schrecken des Ersten Weltkriegs und ein bildhauerisches Werk, das Naturalismus und Expressionismus vereinte, um Leid und Elend, aber erstaunlich oft auch Anmut und die Schönheit der Zerbrechlichkeit auszudrücken.

Wer heute an Lehmbruck denkt, wird in erster Linie an seine "Kniende" denken - eine Plastik, die wie fast alle bedeutenden Skulpturen auch eine Wirkungsgeschichte aufweist. Die beginnt damit, dass selbst hochmögende Kunsthistoriker wie der bis heute oft zitierte Julius Meier-Graefe ihren Unmut äußerten. "Meine Enttäuschung kannte keine Grenzen", äußerte er später über seine erste Begegnung mit Lehmbrucks dreidimensionalem Frauenakt in dessen Pariser Atelier. "Das Machwerk war alles Mögliche, nur keine Plastik", fügte er hinzu.

So empfanden es auch zahlreiche Zeitgenossen. Nachdem man 1925 eine Bronze-Version der 1,76 Meter hohen "Knienden" im Duisburger Tonhallengarten aufgestellt hatte, wurde sie beschädigt: Das sogenannte gesunde Volksempfinden hatte sich Luft gemacht.

Heute lässt sich nur noch schwer begreifen, dass diese in sich gekehrte, anmutige, aber auch geheimnisvolle Figur einmal revolutionär war. Von den Idealen des Klassizismus und des Naturalismus hob sie sich durch ihre in die Länge gezogenen Glieder ab. Das verleiht ihr etwas Elegisches, und dies wird der Grund dafür gewesen sein, dass sie den Kasseler "documenta"-Ausstellungen I (1955) und III (1964) als Blickfang und Einstimmung diente. Denn der "Knienden" war nach dem Zweiten Weltkrieg Symbolkraft zugewachsen. 1937 war die Skulptur in München und andernorts als Beispiel von "entarteter Kunst" diffamiert worden, die steinernen Exemplare aus München und Berlin waren anschließend zerstört worden. Die beiden verbleibenden Steingüsse stehen heute im Museum of Modern Art in New York und im Dresdner Albertinum - als Zeugnisse einer einst unverstandenen Kunst, der längst etwas klassisch Modernes anhaftet.

Das Lehmbruck-Museum verfügt über eine Gips-Version, die sich in der Schausammlung befindet, und eine Bronze-Fassung, die jahrzehntelang vor dem Museum stand - bis immer häufiger Bronze-Diebstähle von sich reden machten und es der Museumsleitung geraten schien, die "Kniende" ins Depot zu schließen.

Die "Kniende" ist so etwas wie die Schwester des "Gestürzten", einer gleichfalls in die Länge gezogenen Figur von 1915/16, die einen gefallenen Soldaten verkörpern könnte oder eine Gestalt, deren Leiden sich nicht mehr in der Pose des Kniens, sondern nur noch in der Form eines auf dem Boden Kauernden ausdrücken lässt.

Julius Meier-Graefe, der einstige Skeptiker, hatte sich später gefangen und erkannt: "Um die Kniende muss man sich bemühen. Man muss die kniende Gestalt des öfteren sehen, um die Sprache der Glieder, der erhobenen Hand, die gleich einer fünfsternigen Blüte in den Äther wächst, der anderen ruhenden Hand auf dem weit hinausragenden Schenkel des Fußes, der bis in die Ewigkeit zurückflüchtet, um die Sprache des demütig geneigten Hauptes zu vernehmen." So notierte er 1931, zwei Jahrzehnte nach der Entstehung der Skulptur.

Bereits 1919 hatte der Kritiker Paul Westheim sich für Wilhelm Lehmbrucks neuen Stil begeistert. Im Zusammenhang mit der "Knienden" sprach er von einem "spirituellen Erlebnis von weitestem Ausmaß", vom "Begehren des Irdischen nach dem Überirdischen" und dem "Wehen des Seelischen im Fleisch".

Das alles klingt schwärmerisch und bezieht sich ausschließlich auf die Aura von Lehmbrucks Skulptur. Doch auch in handwerklicher Sicht trat der Künstler als Neuerer hervor. Lehmbruck arbeitete bei seiner Steingussversion mit Verstärkungen aus Metall. Das erlaubte ihm, den rechten Arm der Knienden frei allein an der Schulter zu befestigen, also die gesamte Last an eine Stelle zu legen. Zuvor hatten die Bildhauer zu Tricks gegriffen, indem sie den Arm auflegten oder die Hand an den Körper greifen ließen.

Die "Kniende" entfaltet auch heute noch, mehr als 100 Jahre nach ihrer Entstehung, eine Aura aus Anmut und Geheimnis, doch aus Sicht der Gegenwart scheint sie der Romantik näher zu stehen als den Abstraktionen der Moderne. Als die Bronzeversion noch den Eingangsbereich des Lehmbruck-Museums zierte, drückten ihr Passanten zuweilen Blüten der umstehenden Kastanienbäume oder Blumen in die Hand - eine nette Geste, die aber dem existenziellen Ernst dieser Plastik zuwiderläuft. Man hat sie auch "Mona Lisa des 20. Jahrhunderts" genannt - und damit zumindest erfasst, dass sie das Geheimnis, das ihr innewohnt, selbst bei längerer Betrachtung für sich behält.

(RP)
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