Ausstellung Emil Noldes grelle Bildwelten in Frankfurt

Frankfurt/M. · Nach 25 Jahren gibt es in Deutschland endlich wieder eine Retrospektive zum großartigen Werk des politisch umstrittenen Malers.

Wenn man im Frankfurter Städel diese Bilder erlebt, diese ganz eigenständige, oft bizarre, immer von traumwandlerischer Sicherheit im Umgang mit Farbe zeugende Malerei, dann möchte man Emil Nolde am liebsten alles vergeben, was ihm in neuerer Zeit wieder vorgeworfen wird. Ja, es stimmt, dass er sich den Nationalsozialisten anbiederte, dass er stolz darauf war, gegen die "Überfremdung der deutschen Kunst" gekämpft zu haben, dass er im "Dritten Reich" den nichtjüdischen Konkurrenten Max Pechstein als Juden bezeichnete und gern einer der führenden Künstler des Nationalsozialismus geworden wäre.

Es stimmt auch, dass Propagandaminister Joseph Goebbels den Maler aus dem Norden glühend verehrte und Noldes Aquarelle in seiner Dienstwohnung erst abhängte, als Hitler sie sah und aufs Schärfste missbilligte. So wurde — letztlich zu Noldes Glück — aus dem Beinahe-Vorzeigekünstler doch noch einer, den die Nazis als "entartet" brandmarkten.

Das erleichterte es den Liebhabern seiner Kunst, sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu seiner Genialität zu bekennen. Helmut Schmidt organisierte 1982 im Bonner Kanzleramt eine Nolde-Schau und machte mit einem weiteren Verehrer, dem Schriftsteller Siegfried Lenz, Urlaub auf der Ostsee-Insel Alsen, wo Nolde zeitweise gelebt hatte. Und Angela Merkel trat in Schmidts Fußstapfen, indem sie noch heute, allen politischen Diskussionen um Nolde zum Trotz, ihr Büro mit zwei Werken des Malers schmückt.

Emil Nolde — das unterstreicht die großartige Frankfurter Ausstellung erneut — war nun einmal eine dermaßen herausragende Gestalt, dass man seine Bilder nicht einfach abhängen kann, so wenig wie man auf die Bücher des einstigen Waffen-SS-Mitglieds Günter Grass oder auf die Bilder von Ernst Ludwig Kirchner verzichten möchte, der im Verdacht des Missbrauchs von Kindern steht. Es bleibt das ewige Bedauern darüber, dass große Künstler nicht immer auch menschlich Größe bewiesen haben.

Wie ungeeignet Nolde war, mit seiner Kunst die Ideologie des Nationalsozialismus zu bebildern, das ergibt sich schon aus seinem ersten Gemälde, den "Bergriesen" von 1895/96: grinsenden, fast surreal wirkenden Stammtischbrüdern, die er in seiner Münchner Zeit malte. Auch in den Gestalten, die er später in Szene setzte, scheint oft ein Funke Wahnsinn zu stecken — als Brücke in einer andere, übersinnliche Welt.

Die war ihm, dem an der dänischen Grenze Aufgewachsenen, von seiner Mutter geläufig. Nolde lebte in seiner Vorstellung ganz selbstverständlich mit Geistern. Von ihnen ließ er sich bei seinen zahlreichen Ortswechseln gern verfolgen und anregen.

Wer oft Kunstmessen besucht, neigt dazu, Nolde als bloßen Blumenmaler zu verkennen. Und als typisches Kind seiner norddeutschen Heimat. Die Frankfurter Ausstellung weitet in doppelter Sicht den Blick: Nolde hat weitaus mehr und auch Bedeutenderes gemalt als Stillleben. Und er war viel unterwegs. So verbrachte er ab 1905 fast jeden Winter in Berlin und streifte durch die Varietés. Er verdammte das Großstadtleben und sog doch künstlerisch Nektar daraus. Und als er später an einer der letzten Forschungsreisen des Reichskolonialamts teilnahm und nach Deutsch-Neuguinea aufbrach, malte er die Südsee klischeehaft als paradiesisches Idyll, obwohl er aus eigener Anschauung wusste, dass die Wirklichkeit anders war. Auch hier nährt sich die Vermutung, dass dem Maler die Wirklichkeit lediglich als Vorlage seiner Farbkompositionen diente. Mit seiner Ehefrau Ada reiste er um die Welt, um immer wieder neue Farb-Impulse zu empfangen. Wer einmal im Sommer sein einstiges Anwesen im nordfriesischen Seebüll besucht hat, der weiß, wozu ihm die Blumenbeete dienten.

Zu den herausragenden Werken in Frankfurt zählen "Frühling im Zimmer", ein bezauberndes, noch impressionistisches Porträt seiner Frau, dazu "Kerzentänzerinnen" von 1912, zwei rauschhaft sich bewegende, halb nackte junge Frauen, und als Höhepunkt die neunteilige Arbeit "Das Leben Christi". Nolde löst sich darin von der Tradition dunkler Kreuzigungs-Szenen, setzt die biblischen Gestalten grell und bewegungsreich ins Bild — und stellt die Apostel nicht als Gelehrte dar wie seit der Renaissance üblich, sondern als "einfache jüdische Land- und Fischermenschen", wie er es selbst ausdrückte. Das Bild hing von 1932 bis 1937 im Essener Museum Folkwang und geriet von dort geradewegs in die Münchner Ausstellung "Entartete Kunst". Nolde forderte das Werk zurück, und tatsächlich: Goebbels gab seinem Wunsch statt. In den ersten Nolde-Ausstellungen der Nachkriegszeit wurde es zu einer Ikone der klassischen Moderne in Deutschland. Und Nolde galt als Held.

(RP)
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