Leipziger Buchmesse Experten sorgen sich um das Kinderbuch

Leipzig (RP). Wer mit Büchern vor allem Geld verdienen will, der schaue als erstes in die Bestsellerlisten der zurückliegenden Monate und notiere, was sich dort auf den vorderen Rängen tummelt. Dort finden sich vor allem All-Age-Bücher, doch diese Vorliebe kennt auch Schattenseiten.

 39 Länder präsentieren sich auf der Buchmesse.

39 Länder präsentieren sich auf der Buchmesse.

Foto: ddp, ddp

Mit den ersten 100 Titeln der Literatur-Hitparade werden mehr als 37 Prozent des Gesamtumsatzes von jährlich 9,6 Milliarden Euro erzielt. Was also läuft? Geschichten über keusche Vampire, über besenreitende Zauberlehrlinge und die Bewahrung der Fantasie mit der ganzen Kraft des Tintenherzens.

Darauf lässt sich kein richtiger Reim machen, abgesehen von der nicht unwesentlichen Tatsache, dass jene Werke über Potter und Co. den so genannten All-Age-Büchern zugerechnet werden. Das ist Lesestoff für Jugendliche und Erwachsene, also für eine Altersgruppe von zwölf bis wenigstens 30 Jahren. Eine hochattraktive Klientel, das in aller Regel seine Bücher selbst kauft.

Umsatz enorm zugelegt

Dieser Trend ist mehr als eine nur modische Erscheinung: Unter den hierzulande zwanzig meistverkauften Belletristik-Büchern der vergangenen acht Jahre finden sich elf All-Age-Titel — bei zunehmender Dynamik: So legten 2009 All-Age-Bücher im Vergleich zum Vorjahr bei den Umsätzen noch einmal um mehr als 44 Prozent zu. Es ist, als zeige sich die Bücherwelt trotz Wirtschaftskrise darin von der heilen Seite — mit Werken, die auch Brücken zwischen den Generationen schlagen und so das Buch zum Thema sehr vieler Leser machen.

Durch die Vorliebe zum All-Age-Buch haben die Verleger aber offenbar das Kinderbuch ein wenig aus dem Blick verloren, so Regina Pantos vom Arbeitskreis für Jugendliteratur auf der Leipziger Buchmesse. Bücher für Kinder ab sechs Jahren gehören zum einzigen Bereich in der florierenden Kinder- und Jugendliteratur, der nicht wächst.

Die Entwicklung gilt unter Fachleuten als Symptom; und auch die mangelnde Qualität bei der literarischen Einsteigerdroge Kinderbuch wird zum Indiz zunehmender Vernachlässigung: Die große rosa Mädchenwolke, so Kinderliteratur-Expertin Gundel Mattenklott, driftet "in die modische Trivialität" — mit Büchern, die ihrer Meinung nach "so ungefährlich sind wie das Sammeln von Glanzbildchen und ästhetisch auf dem gleichen Niveau".

"Sahne auf dem Kuchen"

Das Kinderbuch bleibt somit in den sprichwörtlichen Kinderschuhen der Klischees stecken. Stattdessen haben diese Bücher eine enorm verantwortungsvolle Aufgabe, so Pantos, nämlich auf die Entwicklung der Kinder differenziert und originell einzugehen. Letztlich geht es um eine Zielgruppe, die auch als Leser erstmals auf eigenen Beinen steht. Die All-Age-Bücher sollten darum für Verleger die Sahne auf dem Kuchen sein, nicht der Kuchen selbst, sagen die Fachleute.

Zumal das Leseverhalten in Deutschland — trotz großer Anstrengungen etwa mit Lesestart-Paketen, die erst über Kinderärzte und dann in Bibliotheken jungen Eltern überreicht werden — zu wünschen übrig lässt. Immer noch liest jeder vierte Erwachsene in Deutschland nie ein Buch. Und obwohl sich Eltern darin einig sind, dass die Kulturtechnik des Lesens gut für ihre Kinder ist, nehmen Erziehungsberechtigte nur in jeder zweiten Familie aktiv Einfluss auf das Leseverhalten der Zöglinge.

Bei aller ökonomischen Euphorie steht am Ende die ernüchternde Bilanz, dass All-Age-Bücher nur dort "funktionieren", wo bereits gelesen wird.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort