Ausstellung in Bonn Faszinierender Rhein

Bonn · Die Bundeskunsthalle in Bonn lädt zu einem vergnüglichen Spaziergang durch die Kulturgeschichte des Rheins ein.

Der erste Raum einer Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn ist oft ein Appetitanreger. Anhand weniger Schaustücke fasst er zusammen, was den Besucher erwartet. Diesmal lautet das Thema "Der Rhein. Eine europäische Flussbiografie", und das sind die Blickfänge vorab: zwei aus der Eiszeit stammende Skelette von Jägern aus einem Doppelgrab in Bonn-Oberkassel, deren nächste genetische Verwandte die Sami in Skandinavien sind; Andreas Gurskys Großfotografie "Der Rhein I", in der der Künstler durch Retusche alles getilgt hat, was den Ort ihrer Entstehung belegen könnte; und Moritz von Schwinds 2,20 mal 4,65 Meter messendes, aus dem Nationalmuseum Posen entliehendes Gemälde "Vater Rhein" von 1848. Dazu erklingt — was wohl? — Schumanns "Rheinische Sinfonie".

Der Rhein hat viele Gesichter, doch nur selten ist das so wörtlich zu nehmen wie im Falle von Schwinds symbolisch überfrachtetem Panorama. Der bärtige, Fidel spielende, mit Weinlaub bekränzte Rhein lagert im Strom zwischen einem Reigen halb entblößter Frauen, die mit je einem Attribut ihrerseits etwas verkörpern: die Nebenflüsse, die Städte Speyer und Worms, die Bundesfestung Mainz und die Rheinmythen. So bilden sie ein einigendes nationales Band der deutschen Staaten.

Moritz von Schwinds Gemälde mag Eindruck schinden, zählt aber nicht unbedingt zu den Jahrhundertwerken der Malerei. Doch diese "europäische Flussbiografie" ist auch nicht als Kunstausstellung gedacht, sondern als Spiegel einer geografisch verankerten Kulturgeschichte. Und da ist die Aussagekraft der Illustration wichtiger als der geniale Wurf. Dennoch hätte man sich vom großen britischen Rhein-Romantiker William Turner einiges mehr gewünscht als nur den "Rheinfall bei Schaffhausen", "Mainz von Süden" und "Hochkreuz und Godesburg".

Knochen aus der Prähistorie, Skulpturen von den Römern

In 13 Kapiteln beleuchtet die Ausstellung ihr Thema von der Vorgeschichte bis zur Gegenwart. Nicht jedes lässt sich gleichermaßen eindrucksvoll in Szene setzen. Die Prähistorie hält nur Knochen bereit, die Römer steuern immerhin etliche Skulpturen aus Sandstein bei, die Kirche aber läuft mit den Erzeugnissen ihrer anonymen Kunsthandwerker und den handverfertigten Büchern ihrer Klosterbrüder zu Bestform auf.

Aus der Kunst der Römer sticht ein Grabrelief mit Schiffsdarstellung hervor, vor allem aber — leider nur als Kopie — der bronzene "Xantener Knabe". Fischer hoben diese um 150 vor Christus entstandene, schlichte Figur aus dem Rhein bei Xanten und hielten damit einen der bedeutendsten antiken Bronzefunde nördlich der Alpen in den Händen. Der Knabe war ein Stummer Diener: In den ausgestreckten Armen hielt er ein Tablett mit Speisen und Getränken. Wahrscheinlich zählte er zum luxuriösen Inventar eines Palasts des Legionslagers Vetera auf dem Fürstenberg.

Das Mittelalter verfeinerte die Kunst. Zu den Prunkstücken des Kirchenkapitels zählt eine Sandstein-Skulptur der heiligen Barbara vom Petersportal des Kölner Doms, außerdem eine Szene "Anbetung der Heiligen Drei Könige" aus dem Reichenauer Evangelistar, entstanden in der damals bedeutendsten abendländischen Buchmalerschule auf der Bodensee-Insel. Wie der Rhein ein Strom der Kirche war, so war er auch ein Strom der Kaiser, wie er sich in Urkunden und Chroniken überliefert hat, ein Strom der Händler, wie es ein Brandstempel der Kölner Heringshändler bezeugt, ein Knotenpunkt der Kulturen.

Anselm Kiefer ist ebenfalls vertreten

Blickt man heute auf den Rhein, so ist er eine touristische Attraktion — wie auf Michael Lios Foto "Rheinfall" zu bestaunen; und aus nüchterner Sicht eben ein Transportweg, der gelegentlich über die Ufer tritt und zuweilen unerfahrene Schwimmer in den Tod reißt. Aus sentimentaler Sicht bildet er ein Sammelbecken menschlicher Fantasien. Rheingold, Nixen und Wassergeister — derlei hat Musiker offenbar stärker beflügelt als bildende Künstler.

In der Bonner Schau setzt sich nur ein großer Maler mit dem Rhein-Mythos auseinander: Anselm Kiefer in seinem Großformat "Vater, Heiliger Geist und Sohn". Unten strömt der Fluss mit Verweis auf den Ring des Nibelungen und das Rheingold dahin, in der Mitte lodern zerstörende und, wie es heißt, zugleich reinigende Flammen in die obere Bild-Ebene, wo drei Stühle die Dreifaltigkeit verbildlichen. Der Rhein, so lautet die Botschaft, hält unterschiedliche Erzählungen bereit.

Die düsteren dieser Erzählungen handeln von Kriegen und dem Nationalismus, den sie verstärkten. Lorenz Clasens riesige "Germania als Wacht am Rhein" von 1860 wehrt sich nach den italienischen Einigungskriegen, die Napoleon gegen Österreich unterstützt hatte, hoch über dem Rheintal gegen Frankreichs Expansionsdrang nach Westen - eine ästhetisch mäßig bedeutende Leihgabe aus Krefeld.

Über das "Dritte Reich" geht die Ausstellung mit NS-Plakaten zügig hinweg, sie feiert lieber den Vater Rhein der Gegenwart, der immerhin drei der sechs Gründungsländer der Europäischen Union zu seinen Anrainern zählt: Deutschland, Frankreich und die Niederlande. So endet die Schau angesichts der EU-Dauerkrise vielleicht etwas zu optimistisch. Doch hat solch eine Flussbiografie unbestritten ihr Gutes: Sie endet nicht mit dem Tod, sondern mündet in die Ewigkeit.

(B.M.)
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