Bern/Düsseldorf Gurlitts unberechenbares Erbe

Bern/Düsseldorf · Das Kunstmuseum Bern will das heikle Erbe antreten - doch erhebt jetzt auch Gurlitts Cousine Ansprüche.

So äußerte sich Gurlitt zu dem Kunstfund
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Foto: afp, WB/bb/dg

Erben tun gut daran zu prüfen, ob sich das Erben überhaupt lohnt. Denn wer nicht nur Güter, sondern auch Schulden übernimmt, wird vom vermeintlichen Glückspilz rasch zum Pechvogel. So könnte es auch der Leitung des angesehenen Kunstmuseums Bern ergehen. Das Institut hat sich nach langem Zaudern nun angeblich doch entschlossen, das Erbe des im Mai dieses Jahres 81-jährig gestorbenen und in Düsseldorf begrabenen Sammlers Cornelius Gurlitt anzutreten. Doch just in diesem Moment zeigt sich eine andere Gefahr: Auch Gurlitts Cousine Uta Werner erhebt jetzt Ansprüche.

Mitglieder der Familie Gurlitt um Uta Werner hatten ein Gutachten in Auftrag gegeben, das Cornelius Gurlitts Geisteszustand infrage stellt. Die 86-Jährige wäre mit ihrem 95 Jahre alten Bruder Dietrich Gurlitt gesetzliche Erbin gewesen, wurde im Testament aber übergangen. Dietrich Gurlitt distanziert sich - anders als seine Schwester - von dem Gutachten und befürwortet die Entscheidung des Museums in Bern. Doch solange es ihm nicht gelingt, seine Schwester auf seine Seite zu ziehen, bleibt das Schicksal der Sammlung ungewiss.

Zurzeit sieht es nicht so aus, als wolle Uta Werner klein beigeben. Gestern Abend verlautete, sie habe beim zuständigen Nachlassgericht in München einen Erbschein beantragt. Das Münchner Amtsgericht müsste bei begründeten Zweifeln die Gültigkeit des Testaments überprüfen. Erst am Montag will das Kunstmuseum Bern offiziell bekanntgeben, dass es das Erbe annimmt - oder angesichts der jüngsten Entwicklung vielleicht auch nicht.

Der Fall Cornelius Gurlitt - eine Chronologie
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Der Fall Cornelius Gurlitt - eine Chronologie

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Foto: dpa, sja lre sja

Es handelt sich um einen Kunstschatz, den Cornelius Gurlitt von seinem Vater, dem Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, geerbt hatte. Die Bilder lagerten jahrzehntelang in Geheimdepots in München und Salzburg, bis der "Focus" die in Teilen hochrangige Sammlung publik machte mit dem Hinweis, viele der Bilder seien Nazi-Raubkunst. Im Zuge weiterer Recherchen, auch von anderen Medien, stellte sich allerdings heraus, dass der materielle Wert der Kollektion wahrscheinlich weit unter der Milliarde Euro liegt, die der "Focus" in die Welt gesetzt hatte. Und dass der Schatz nicht nur jene kostbaren Gemälde von Manet, Monet und Matisse umfasst, die in Windeseile als Reproduktionen um den Globus verbreitet wurden, sondern auch und vor allem eine Menge Kunst des mittleren Segments, dazu zahlreiche Arbeiten auf Papier. Solche Blätter bewertet der Kunstmarkt erheblich niedriger als Leinwände.

Obwohl das Land Bayern und die Bundesregierung vor einem Jahr eine "Taskforce" aufstellten, die strittige Bilder darauf untersucht, ob sie in die Kategorie Raubkunst fallen, ist der Verdacht bei Hunderten von Werken nach wie vor nicht ausgeräumt. Deshalb riet der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald Lauder, dem Museum in Bern kürzlich dringend davon ab, Cornelius Gurlitts Erbe anzutreten. Ließen die Berner sich auf dieses Erbe ein, "wird es die Büchse der Pandora öffnen und eine Lawine von Prozessen auslösen", so warnte Lauder im "Spiegel". Denn zahlreiche Rechtsnachfolger der einstigen jüdischen Besitzer, denen die Nationalsozialisten die Bilder raubten, haben bereits ihre Ansprüche angemeldet, weitere werden sicherlich folgen.

Die Leitung des Kunstmuseums Bern stand vor einer schwierigen Entscheidung: Entweder sie nimmt das Erbe an und riskiert damit, dass am Ende die auf sie zukommenden Prozesskosten den materiellen Wert des Nachlasses übersteigen. Oder sie baut darauf, dass sie mit den Erben jeweils eine gütliche Einigung erzielt; dass sie also diejenigen, deren Ansprüche vor Gericht Bestand haben, die strittigen Werke erstattet und alle anderen Bilder behalten darf.

Damit könnte das Museum zum internationalen Magneten des Kulturtourismus werden - wenn nicht die betagte Cousine einen Strich durch die Rechnung macht.

(RP)
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