Axolotl Roadkill Helene Hegemann - Wunderkind der Literaturszene

(RP). Helene Hegemann hat einen atemlosen Roman über das exzessive Leben eines Teenagers geschrieben, der sich durch die Berliner Clubszene treiben lässt, statt zur Schule zu gehen. Das Buch ist eine sprachgewandte Abrechnung mit der Hauptstadt-Intellektuellenszene. Die Autorin ist 17.

 Helene Hegemann freut sich darüber, dass sie noch mehr Schmäh-Kritiker hat als unser Autor.

Helene Hegemann freut sich darüber, dass sie noch mehr Schmäh-Kritiker hat als unser Autor.

Foto: ddp

Sie ist fast noch ein Kind, und ihr Körper ist "kaputtgefeiert". Das kommt von Ritalin, Heroin und was sich Mifti sonst so in die Nase zieht. Es gibt ja einiges zu betäuben in ihrem jungen Leben: Angstattacken mit wild blühenden Horrorfantasien, die Erinnerungen an ihre saufende Mutter, die starb, als sie selbst 13 war, und natürlich die Gegenwart. Mifti ist die Tochter eines überwiegend abwesenden Berlin-Mitte-Intellektuellen, weigert sich, zur Schule zu gehen, treibt durch Clubs, schläft wahllos mit Menschen, die sie nur noch unscharf wahrnimmt, und lässt die Jalousien in ihrem Kinderzimmer meistens unten. "Krass", würden andere ihres Alters sagen. Mifti nicht. Sie sagt: "Zwischenwelten sind mein einziger Bezug zur Wirklichkeit."

Frühreif, exzessiv, aggressiv ist der Debütroman "Axolotl Roadkill" von Helene Hegemann, dazu kühn und rhythmisch komponiert aus Passagen puren Gedankenstroms, E-Mails, SMS, Rückblenden. Souverän, dieser Erstling. Zumal die Autorin erst 17 ist. Natürlich muss man das erwähnen, weil man den Gedanken beim Lesen nicht loswird. Und weil er all die wüsten Szenen aus dem Leben eines vernachlässigten, verlorenen, mitleidlos scharfsichtigen Teenagers noch drastischer erscheinen lässt.

Dabei ist dieser Roman nicht mal Hegemanns erstes Werk. Mit 14 schrieb sie das Drehbuch zu ihrem Film "Torpedo", mit 15 hat sie ihn gedreht und gleich den Max-Ophüls-Preis gewonnen. Da hatte ihr Theaterstück "Ariel 15" längst seine Uraufführung hinter sich. Nun hat die Kulturszene ein neues Fräuleinwunder. Das erste des neuen Jahrzehnts. Und das erste, das der Berliner Prenzelberg-Boheme den Kampf ansagt.

Bei Hegemann klingt das so: "Mein Vater ist einer von diesen linken, durchsetzungsfähigen Arschlöchern überdurchschnittlichen Einkommens, die ununterbrochen Kunst mit Anspruch auf Ewigkeit machen und in der Auguststraße wohnen." Und weil Helene Hegemann die Tochter von Carl Hegemann ist, dem langjährigen Chefdramaturgen der Berliner Volksbühne, Schlingensief-Kumpel und inzwischen Professor in Leipzig, sind die Kritiker nun schnell dabei, Linien aus dem Werk der Tochter in die Wirklichkeit zu ziehen. Schließlich war Hegemann tatsächlich Schulverweigerin. Und ihre Mutter starb tatsächlich, als Helene 13 war.

Damals lebte sie bei der alleinerziehenden Frau in Bochum, erst nach deren Tod zog sie zum Vater nach Berlin und tauchte ein in das Theatermacher-Künstler-Milieu, das nun auch in ihrem Roman auftaucht. Als Angriffsziel einer Jugendlichen, die unglaublich verwundet wirkt und so scharfsinnig, dass man um sie fürchten muss. "Roadkill" nennt man übrigens verwundetes Wild am Straßenrand, "Axolotl" sind Lurche, die ihr Leben lang Larve bleiben.

Die abgeklärte Art, wie Helene Hegemann solche Motive in ihre Geschichte spinnt, wie sie dem Bewusstseinsstrom einer Versehrten Form gibt, ohne ihm den anarchischen Zorn, den Ton abgründiger Ablehnung zu nehmen, das ist außergewöhnlich. Und eben mehr als ein pubertäres Tabubruchwerk. Man spürt bei Hegemann einen Ernst, der traurig stimmt. Weil da ein erschöpftes Mädchen spricht, das sich eigentlich nur nicht anpassen will an die Regeln einer profitorientierten Welt, die vorgibt, höheren Werten verpflichtet zu sein. Doch findet dieses Mädchen keinen anderen Weg der Auflehnung als den selbstzerstörerischen des Drogenexzesses. Hegemanns Mifti ist also kein Kind vom Bahnhof Zoo, kein Sozialfall, sondern "wohlstandsverwahrlost". Sie durchschaut die heuchlerische Welt der Erwachsenen und beschreibt sie mit zynischen Worten. Manchmal wirkt das ein bisschen kalkuliert. Das sind die schlechteren Passagen, wenn man spürt, dass die Autorin ihre Szenen noch ein bisschen greller ausleuchtet, damit auch klar ist, dass sie den Mut hat zu vollkommener Schonungslosigkeit. Doch meistens wirkt ihr rasanter, anspielungsreicher Angriff echt.

Von einer polnischen Autorin hat man so etwas schon gelesen, von Dorota Maslowska, 18 Jahre alt, als ihr Debüt "Schneeweiß und Russenrot" erschien. Auch eine Außenseiterin, die ihre Gegenwart so hart beschreibt, dass es weh tut. Könnte an der Gegenwart liegen.

(RP)
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