Ein deutscher Künstler verewigt sich in Reims Imi Knoebels Fenster der Versöhnung

Reims (RP). 800 Jahre wird die ehrwürdige Kathedrale von Reims in diesem Jahr alt. Zum Jubiläum hat der Künstler Imi Knoebels sechs neue abstrakte Fenster gestaltet. Sein Entwurf steht auch für einen politischen Handschlag zwischen Deutschen und Franzosen.

 Sechs neue Fenster hat Imi Knoebel für die Kathedrale von Reims gestaltet.

Sechs neue Fenster hat Imi Knoebel für die Kathedrale von Reims gestaltet.

Foto: Ivo Faber

Noch sind sie verhängt, die Türen zu den Kapellen in der Apsis zugesperrt. Doch schon werfen die sechs Fenster ihr Licht in den Raum. Farbige Flecken tanzen über den Boden, Tupfer an- und übereinander, geometrische Formen mit und ohne Rand. Scharfe Kanten, weiche Konturen. Die Sonne ist Regisseurin des Lichts, sie setzt ein Farbgewitter in Szene, das sich aus einer verschwenderischen Trias speist: vier Blaus, drei Rots, zwei Gelbs — dazu ein Weiß. Die Magie des Lichts versetzt den hochgotischen Kirchenraum in immer neue Energiezustände, wärmt den kalten Stein, umschmeichelt alle Materialität und weist den berühmten Fenstern Marc Chagalls beinahe eine deutlichere Leuchtkraft zu.

Mit Imi Knoebel zieht die deutsche Moderne in ein Nationalheiligtum Frankreichs ein, in die historische Krönungskirche von Reims. Es war politisches Kalkül, dass einem deutschen Künstler dieser Auftrag zukam, nachdem es deutsche Soldaten waren, die 1914 die sakrale Heimstätte der Grande Nation unter Feuer genommen hatten. In diesem Schicksalsjahr brannte der Dachstuhl, die Glocken und das Blei der Glasfenster schmolzen.

1937 wurde nach aufwendigen Restaurierungsarbeiten die Kathedrale neu geweiht, drei Jahre, bevor sich die Deutschen erneut mit Frankreich im Krieg befanden. Nun also diese Geste der Freundschaft, die in Frankreich fast so hoch bewertet wird wie einst der politische Handschlag zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle.

Ein Meisterschüler von Beuys

Auch bei Gerhard Richter hatten die Franzosen angefragt, dessen Entwürfe — kleine Quadrate, die geklebt werden sollten — offenbar technisch nicht realisierbar waren. Nun also sollte es Imi Knoebel sein, 70 Jahre alt, gebürtiger Dessauer, seit Jahrzehnten in Düsseldorf lebend. Knoebel ist Farbmaler, Bilder-Bauer, Bildhauer — ein Meisterschüler von Joseph Beuys. Als Künstler ist er so kompromisslos wie sein Lehrer, absolut in der Setzung. Hermetisch gibt sich sein Werk.

Kein anderer arbeitet so wie er, der zwei Seiten hat: die streng geometrische und die expressive. "Exerzitien von Farbe und Form" hat das sein Künstlerfreund Johannes Stüttgen genannt. Erst kam ein Brief aus Reims, dann kamen vier Franzosen, man aß zusammen in Düsseldorf. Als die Delegation staatlicher Kulturverantwortlicher Imi Knoebel vor gut drei Jahren den ebenso ungewöhnlichen wie ungeheuerlichen Auftrag antrug, für die Kapellen rechts und links des berühmten Chagall-Fensters jeweils drei abstrakte Fenster zu entwerfen, da wollte er erst nicht.

"Ich habe mit Religion nicht viel zu tun", sagt er, und mit dem Kirchenfensterfach gab es zuvor keine Berührungspunkte. Seine Frau brachte eine frühere Arbeit in Erinnerung. Carmen Knoebel hatte dabei die "Messerschnitte/Rot Gelb Blau", eine Serie aus den 1970er Jahren, im Sinn. In jenen Ensembles schnitt Knoebel unregelmäßige Figuren aus von ihm bemalten Papier zu, die kurvig und spitz wie Glasscherben sind und wie zufällig da liegen. Diese stellen eine Verbindung von kalt kalkulierter Konstruktion und wohltemperierter organischer Welt dar.

Mit den Fenstern gelebt

Als Zyklus von kapriziöser Leichtigkeit beschrieb sie Kunsthistoriker Rudi Fuchs anlässlich der Münchner Ausstellung. Dieser singuläre Zyklus aus Knoebels Oeuvre war frei von der Enge seiner Vorstellungen. Diese Freiheit der Idee bewog ihn vielleicht auch mehr als 30 Jahre später, die Messerschnitte als Vorlage für die Kirchenfenster zu nehmen. So sagte Knoebel den Franzosen zu.

Während in seinem Düsseldorfer Atelier die künstlerische Alltagstätigkeit weiterlief, nahm das Projekt Reims seinen Lauf auf ungewöhnlichen Wegen. In zwei Computern wurden die Ektachrom-Filme der Messerschnitt-Arbeiten hochgeladen und künstlerisch bearbeitet: untersucht, umformatiert, umgeklebt, umgefärbt, in neue Maßstäbe gebracht. Die Vorlagen waren für die zehn Meter hohen Fenster viel zu kleinteilig, als dass man sie eins zu eins in Glas hätte umsetzen können.

Von den Ausmaßen her ist es eine der größten Arbeiten in Knoebels Schaffen. Viele Male sei man die 400 Kilometer nach Reims mit dem Auto gefahren, auch im tiefen Winter. Da wirkte die Kathedrale oft sehr düster trotz der Vielfalt ihrer Fenster, von denen einige nur in Grau-Weiß schimmern. "Das Spannendste war, die Proportionen auszuloten", sagt der Künstler.

Drei Jahre lang hing das Wohnzimmer voll mit Kirchenfenstern, man lebte mit den Fenstern, deren Entwürfe als riesige Drucke zu Hause an den Wänden prangten, bevor sie in die Werkstätten gingen. Da die Farbfelder für die Fenster in Blei eingefasst werden mussten, simulierte man die Bleiruten am PC und untersuchte, wie sich die Farben in der markanten Umrahmung veränderten. Andere Formen bildeten sich heraus, manches trat in den Hintergrund, was zuvor im Vordergrund stand.

Mundgeblasen in Waldsassen

"Es entwickelte sich eine eigene künstlerische Sprache", sagt Knoebel. "Die Ikonographie des Alten und Neuen Testaments wird ganz neu übersetzt, weg von allen Inhalten. Das Neue ist die Tiefe der farbigen Formen." Jedes Fenster ist ein eigenes Bild, hat eine Geschichte und seinen Rhythmus. "Letztlich sind es Figuren geworden", sagt Knoebel.

Die zur Hälfte sandgestrahlten Gläser sind nicht bemalt, sie wurden mundgeblasen in Waldsassen, gefertigt in den französischen Werkstätten von Marq und Duchemin. Aus der Entfernung betrachtet, wirken die Fenster altmeisterlich. Sie sehen nicht aus wie typische Imi-Knoebel-Werke. Ein paar hundert Jahre sollten sie wohl überdauern, Tausende Menschen werden sie betrachten. Deutsche Kunst wird in der französischen Kathedrale von der Freundschaft zweier Nationen Kunde tragen. Versöhnungsfenster sind es.

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