Interview mit dem Vorsitzenden des Kulturrats NRW "Kultur der Finanzaufsicht entziehen"

Gerhart Baum, der Vorsitzende des Kulturrats NRW, spricht im Interview mit unserer Redaktion darüber, welche Schwerpunkte die neue NRW-Landesregierung in der Kulturpolitik setzen sollten. Er fordert unter anderem, den Kulturetat in verschuldeten Städten aus der Finanzaufsicht auszuklammern.

NRW: Wer hat am rot-grünen Verhandlungstisch das Sagen?
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Gerhart Baum (79) war von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister. Heute ist der FDP-Politiker unter anderem Vorsitzender des Kulturrats NRW. Das ist eine unabhängige Vereinigung von mehr als 80 Kulturorganisationen, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Interessen der Kulturschaffenden in NRW zu vertreten.

Wenn Sie der König von NRW wären, was würden Sie in der Kulturpolitik als erstes verändern?

Baum Ich würde alles daran setzen, die reiche Kulturlandschaft von NRW so zu organisieren, dass sie erhalten bleibt und sich entwickeln kann. Kultur ist ein außergewöhnliches Politikfeld, kein Luxus für Schönwetterzeiten. Kulturförderung ist keine x-beliebige Subvention. Es geht um Strukturen, die in langen Jahren gewachsen sind, wenn man sie einmal zerstört, ist es schwer, sie wieder aufzubauen. Kultur muss in unserem Land auch in der nächsten Regierungserklärung ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden.

Heißt das, dass Sie der Kultur mehr Geld zur Verfügung stellen würden?

Baum Das kann man realistischerweise nicht fordern. Die Kultur wehrt sich ja eher gegen Kürzungen.

Befürchten Sie, dass die künftige NRW-Regierung den Kulturetat kürzen wird?

Baum Nein, dafür gibt es bisher keine Anzeichen. Der Kulturetat im Haushaltsentwurf sollte in seiner Struktur nicht verändert werden. Er verträgt keine Kürzungen, denn die sind bis zum Letzten ausgereizt.

Kritiker wenden gegen Kulturförderung stets ein, dass sie nur einer Minderheit zu Gute kommt — jener Elite, die beispielsweise in Oper und Konzerte geht.

Baum Das ist kein Argument. Natürlich wird Kultur in der Regel nur von einer Minderheit genutzt, die aber in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt und die Zukunft mitgestaltet. Es sind ja keineswegs nur Opernbesucher, sondern zahlreiche freie Initiativen im ganzen Land. Und vergessen wir nicht die Künstler— sie sind ja der Ausgangspunkt jeder Aktivität.

Die Politik hat schon länger angekündigt, ein Kulturfördergesetz für Nordrhein-Westfalen auf den Weg zu bringen. Was müsste es beinhalten?

Baum Das Gesetz und vor allem der Diskussionsprozess, der das Gesetz begleitet, müssen das Bewusstsein schärfen für die Notwendigkeit von Kultur. Es müssen die Förderschwerpunkte definiert werden.

Warum ist Kultur denn so wichtig?

Baum Kultur gehört untrennbar zum Menschen und seiner Entwicklung. Kultur öffnet uns die Augen, lässt uns Zusammenhänge verstehen, fragt nach der Zukunft, beglückt uns und verstört uns manchmal. Kultur ist ein bedeutendes Lebenselement — für die Gesellschaft und für jeden Einzelnen. Die Bedeutung der Kultur ist nur begrenzt ökonomisch messbar. Ein Künstler denkt nicht in wirtschaftlichen Kategorien — er darf und kann auch gar nicht darin denken, wenn er ein weißes Notenblatt vor sich hat.

Es gibt aber Kultur-Institutionen, etwa die Film und Medien Stiftung NRW, die in ökonomischen Kategorien denken.

Baum Eine Kultur-Förderinstitution, etwa die Filmstiftung NRW, hat einerseits den ökonomischen Erfolg im Auge, darf aber den Bezug zu den kulturellen Wurzeln der Filmkunst nicht verlieren. Marketing- und Standortaspekte dürfen nicht dominieren. Hier haben wir Sorgen und werden darüber mit Petra Müller, der neuen Chefin der Filmstiftung, sprechen.

Kulturschaffende in Nordrhein-Westfalen fordern seit langem, dass die Bürokratie in der Kulturförderung abgebaut werden müsste. Sehen Sie da Bewegung?

Baum Da ist noch viel zu tun. Zum Beispiel brauchen Kulturschaffende Planungssicherheit über ein paar Jahre hinweg. Bisher leben viele Kulturinitiativen von der Hand in den Mund. Und sie leben nur, weil es Menschen gibt, die sich und ihr kulturelles Potenzial oft bis zur Selbstausbeutung einbringen.

Und sie arbeiten in verschuldeten Kommunen mit prekären Aussichten. Solange Kultur freiwillige Leistung ist, können Kommunen wie Duisburg eben nicht ohne weiteres entscheiden, dass sie die Opernehe mit Düsseldorf aufrecht erhalten wollen.

Baum Ja, darum fordern wir, für die Kulturförderung einen finanziellen Korridor im Haushalt verschuldeter Gemeinden zu schaffen, der nicht der Finanzaufsicht unterliegt. Das wäre eine stabile Grundlage. Dann könnten auch verschuldete Kommunen entscheiden, ohne Einspruch durch den Regierungspräsidenten befürchten zu müssen.

Brauchte NRW einen Kulturminister, um solche Änderungen durchzusetzen?

Baum Diese Diskussion ist im Moment nicht akut. Wenn Kulturpolitik gut gemacht wird, ist es egal, wer sie voranbringt. Wir arbeiten mit Regierung und Landesparlament gut zusammen.

Welche Projekte der vergangenen Regierung sollte die künftige fortführen?

Baum Kulturelle Bildung und die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Künstler sind gute Schwerpunkte. Bei allem, was in NRW zu kritisieren ist, die Kulturpolitik versucht, sich unter widrigen Bedingungen zu behaupten. Das verdient Anerkennung.

Was steht als nächstes auf Ihrem privaten Kulturprogramm?

Baum Händels Oper "Alcina" in Köln, ein Konzert mit der Musikfabrik NRW und zeitgenössischer Musik, und ich möchte endlich in Düsseldorf die Ausstellung "Fresh Widow" in der Kunstsammlung NRW besuchen. Kunst hat mein Leben bereichert und mir für vieles die Augen geöffnet. Ich wünsche mir, dass wir vor allem jungen Menschen diese Botschaft der Kunst vermitteln können.

(RP/das)
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