Rom Michelangelo — Bildhauer des Christentums

Rom · Vor 450 Jahren starb hochbetagt einer der größten Künstler der Menschheit: Michelangelo. Er war Maler, Bildhauer und Architekt.

Sehenswürdigkeiten in Florenz
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Foto: Shutterstock/ Gurgen Bakhshetsyan

Mit Michelangelo kann man Träume verbinden. Der größte vielleicht, einen Nachmittag allein in der Sixtinischen Kapelle sein und auf dem Rücken liegen zu dürfen, um nur dieses Deckenfresko anzuschauen. Eine gemalte Ungeheuerlichkeit. Weil das, was man in gut 20 Metern über sich sieht, nichts anderes ist als die gesamte Schöpfungsgeschichte.

Gemalt in unglaublichen Bildern: die Scheidung von Licht und Himmel, die Sintflut, die Erschaffung Adams und die Erschaffung Evas, der Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies, umrahmt von vielen nackten Männern. Ein Skandal, mögen einige der hohen Gäste und noch höheren Geistlichen bei der Einweihung vielleicht gedacht haben. Doch schon damals, 1512, wussten alle, dass dies ein Jahrtausendwerk ist. Und wie ein Lauffeuer fegt die Nachricht vom Fresko durch Europa.

Michelangelos Meisterschaft zeigt sich nicht nur in der Sixtina, die mit den exakten Ausmaßen des Salomontempels auch ein Stück gebaute Theologie ist. 20 Jahre später wird er sie noch einmal aufsuchen und an der Kopfseite das Jüngste Gericht mit einem versteckten, schrecklichen Selbstbildnis malen. Aber seine Arbeiten an der päpstlichen Hauskapelle geben uns eine Ahnung vom Genie dieses Mannes, der heute vor 450 Jahren gestorben ist — in einem zur damaligen Zeit fast abrahamitischen Alter von 88. Und schöpferisch bleibt er bis zuletzt. Noch mit 71 Jahren wird ihm nach hartem und arbeitsreichem Leben die Bauleitung am Petersdom und dessen Kuppel übertragen.

Michelangelo lernt am Objekt

Alles am Sixtina-Fresko ist unfassbar. Dabei beginnt die Arbeit wie ein Nebenwerk. Michelangelo ist dabei, ein riesiges Grabmonument für Papst Julius II. zu erschaffen. Doch ausgerechnet er, der große Bildhauer, wird abberufen und soll stattdessen nur ein Fresko malen. Hinzu kommt, dass Michelangelo gar kein geübter Freskant ist. Und das ist heikel, weil der Farbauftrag im nassen Putz spätere Korrekturen unmöglich macht; es sei denn, man schlägt den gesamten Putz wieder ab.

Michelangelo muss also üben und lernen, und er lernt am Objekt, was jeder Betrachter heute noch erkennen kann. Michelangelo beginnt seine Arbeit — alles auf dem Rücken liegend — chronologisch von hinten, bei der Sintflut; kleinteilig geraten die ersten Bilder mit vielen Figuren. Doch mit zunehmender Sicherheit wächst sein Mut zu immer größeren, bald riesigen Gestalten: Figuren in doppelter Größe, frei Hand gemalt und dann noch — dem Gewölbe angemessen — in perspektivischer Verkürzung.

Eine Geschichte der Menschheit, die vor Dramatik und Leben aus den Fugen platzt. Als vor gut zwei Jahrzehnten die Fresken renoviert wurden, staunten die Arbeiter auf den Gerüsten — so skurril verzerrt waren all die Körper direkt vor ihren Augen, doch von unten wirken alle plastisch. Michelangelo hatte die Perspektive der Betrachter beim Malen bedacht.

Ein Mann aus einfachen Verhältnissen

Michelangelo besaß viele einzigartige Talente, das vielleicht spektakulärste war, ein Werk vor dessen Entstehung konkret vor Augen zu haben. Dieser Mann aus Caprese, der aus einfachen Verhältnissen stammte, bei den Medici frühe Förderer und bei den Päpsten lukrative Auftraggeber fand, sah im Stein schon die Figur und musste sie bloß noch daraus befreien. Wie bei diesem riesigen Marmorblock, den ein anderer Künstler vier Jahrzehnte zuvor in Florenz bereits verhauen hatte. Michelangelo aber erblickte darin keinen nutzlos gewordenen Stein, sondern schon den David mit der Schleuder.

Er hält den Augenblick vor dem tödlichen Wurf fest; und alles an der Figur spricht von der Gewissheit und der unerschütterlichen Zuversicht, den riesigen Krieger Goliath gleich zu besiegen. Michelangelo schlug David aus dem Stein — über 4,3 Meter hoch und 5,6 Tonnen schwer. Als die Menschen ihn 1504 endlich sehen konnten, mögen sich manche gefragt haben, wie er sich so lange im Stein verstecken konnte.

Alles, war er machte, war meisterhaft; und vieles, was er anging, geschah zum ersten Mal in der Kunstgeschichte. Wie etwa sein Bacchus von 1497, den er das Torkeln lehrte. Die Figur aus Marmor, die Stellung von Fuß und Bein, die Haltung von Schulter und Kopf, werden labil, schwankend. Und schließlich seine berühmte und ergreifende Pietà im Petersdom. Diesmal schien er dem Marmor — ausgerechnet mit der Figur des hingerichteten Jesus — Leben einzuhauchen. Man möchte den kalten Stein gerne berühren, um sich davon überzeugen zu können, dass er keine warme Haut ist. Es scheint, als nähme Michelangelo mit seiner Kunst die Auferstehung vorweg.

Kein Kunstwerk kann vollendet sein

Man kann viel staunen vor all den Werken dieses tiefgläubigen Mannes, der immer ein Getriebener seiner Zeit war, der häufig zwischen Rom und Florenz wechselte, mal gefördert von den Päpsten, ein anderes Mal von ihnen angefeindet. Und es gab davon reichlich: 13 Päpste erlebte Michelangelo. Das Erstaunlichste aber kam zum Schluss — das ist die Pietà Rondanini, beendet erst im Todesjahr. Aber was heißt vollendet? Das Figurenpaar war bereits feingearbeitet, als Michelangelo erneut das Schlageisen ansetzte und die Skulptur zerstörte.

Als habe er tiefer im Stein noch eine andere Figur gesehen. Michelangelo erkannte, dass ein Werk nicht vollendet war, wenn es fertig zu sein schien. Und dass vielleicht kein Kunstwerk überhaupt vollendet sein kann. Sechs Tage vor seinem Tod soll er noch an der Pietà gearbeitet, von morgens bis abends vor ihr gestanden, sie intensiv betrachtet und immer wieder bearbeitet haben. Er hatte das Paar nicht mehr aus dem Stein befreit, sondern es in den Stein hineingearbeitet

Und was dann zu Tage trat, war etwas gewollt Unvollendetes: ein Figurenpaar mit grobem Profil, mit ganz einfachen und reduzierten Linien. Wie eine dezente Frühform abstrakter Kunst sieht die Pietà aus. Damit hatte Michelangelo 1564 seinen ersten Schritt in die Moderne getan.

(RP)
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