Vermisste Kunstschätze Nazi-Beutekunst in Pfälzer Burg entdeckt

St. Petersburg/Falkenberg · Einige der wertvollen Bücher, die Deutsche im Jahr 1942 aus einem russischen Schloss raubten, sind wieder aufgetaucht. Die Besitzer wollen sie nun zurückgeben. 70 Jahre lang standen die Bücher in einer Oberpfälzer Burg.

 Im Besitz der Familie Schulenburg: In der oberpfälzischen Burg Falkenberg wurden die in Russland geraubten Bücher entdeckt.

Im Besitz der Familie Schulenburg: In der oberpfälzischen Burg Falkenberg wurden die in Russland geraubten Bücher entdeckt.

Foto: dpa

Das Thema Beutekunst hat noch immer genug Sprengstoff für diplomatische Eklats. Erst vor einigen Wochen gerieten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatschef Wladimir Putin deswegen erneut aneinander. Anlass war eine Ausstellung in St. Petersburg, in der Kulturgüter gezeigt wurden, die Sowjetsoldaten nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland geraubt hatten, darunter der "Schatz von Eberswalde". Deutschland pocht auf Rückgabe.

Doch es gibt auch den umgekehrten Fall: Seit den Plünderungen durch die Faschisten würden in der Sowjetunion immer noch viele Kunstschätze vermisst, sagt die Beutekunstexpertin der Eremitage, Julia Kantor. Sie vermutet die Nazi-Beute in deutschem Privatbesitz. Dank Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" sind einige wieder aufgetaucht. Es handelt sich um Bücher aus dem 18. und 19. Jahrhundert aus Schloss Pawlowsk, 30 Kilometer vor St. Petersburg. Die Erben wollen sie jetzt zurückgeben.

Bücher von Katahrina der Großen

Katharina die Große schenkte das Schloss ihrer Schwiegertochter Maria Feodorowna (1759—1828). Die gebürtige Deutsche bestückte die Schlossbibliothek mit wertvollen Büchern aus ihrer Heimat. 1942 marschierten deutsche Truppen ein. Ein Sonderkommando, das Akten und Archive beschlagnahmte, aber auch Kunstsammlungen und Bibliotheken plünderte, transportierte Tausende Bücher aus Pawlowsk ab.

Einige schenkte der Leiter des Kommandos, Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg (1875— 1944), dem letzten deutschen Botschafter in Moskau, darunter eine 30-bändige Lessing-Ausgabe von 1771. Die "Süddeutsche" zitiert aus einem Briefwechsel, der die Übergabe belegt. "Ich freue mich sehr, Ihnen die in der Anlage aufgeführten 100 Bände überlassen zu dürfen", heißt es darin. "Der Ostfeldzug wird uns Gelegenheit geben, neues, umfangreiches Material sicherzustellen."

Das Geschenk fülle "ein erhebliches Loch" in seiner Privatbibliothek, so bedankte sich der Diplomat. "Sollten Sie wieder Bücher bekommen und in der Lage sein, etwas davon abzugeben, so würde ich glücklich sein, wenn Sie wieder an mich denken wollten."

Viele Bücher blieben in Moskau zurück

Dabei war Schulenburg kein Freund des Russlandfeldzugs. 1939 hatte er den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt mit ausgehandelt, bis zuletzt vor einem Einmarsch gewarnt. Später schloss er sich dem Widerstand um Stauffenberg an und bezahlte dafür mit dem Leben: 1944 wurde er wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und in Berlin gehängt. Der größte Teil seiner Privatbibliothek blieb in Moskau zurück. Vieles davon ist heute Teil öffentlicher russischer Bibliotheken.

Manche Bücher hatte von der Schulenburg mit nach Deutschland genommen. Er besaß im nordbayerischen Landkreis Tirschenreuth eine Burg. Bis vor wenigen Jahren bewohnten seine Nachfahren Burg Falkenberg im Ort gleichen Namens, auch sein Großneffe Stephan Graf von der Schulenburg wuchs dort auf. 2008 verkaufte die Familie die Burg an die Gemeinde.

Beim Auszug nahm der 54-Jährige einen Teil der Bücher seines Großonkels mit nach Frankfurt, wo er Kurator am Museum für Angewandte Kunst ist. Ein Teil blieb bei seinem Bruder in Bayern. "In unserer Bibliothek gab es einige historische Bücher mit russischen Stempeln. Keiner von uns wusste, was es damit auf sich hat", so erinnert sich Stephan Graf von der Schulenburg. Suspekt waren der Familie die Bücher schon immer. Sein Vater habe versucht, die russischen Stempel zu entfernen, schließlich lag die Burg in Sichtweite des Eisernen Vorhangs.

Raubgut-Rückgaben gibt es immer wieder

Den Briefwechsel habe die Familie nicht gekannt. Erst durch die "Süddeutsche" habe man erfahren, woher die Bücher stammten. Sein Bruder und er seien sich sofort einig gewesen: "Das ist Raubkunst. Das dürfen wir nicht behalten. Es ist klar, dass diese Dinge unrechtmäßig in unseren Besitz gelangt sind." Er habe bereits mit staatlichen Stellen Kontakt aufgenommen, um "eine würdige Übergabe" abzusprechen. "Man kann das ja nicht mit der Post schicken."

Für die Russen wäre die Rückgabe der Bücher genau das, worum es für sie im Beutekunststreit geht. Russische Experten beklagen seit langem, dass es bisher immer zu sehr um deutsche Interessen gegangen sei. "Wir werden uns aber erst dann freuen, wenn wir die Bücher tatsächlich wieder in unserer Bibliothek haben", sagte Alexej Gusanow, der stellvertretende Direktor für wissenschaftliche Arbeit und Bestandserhaltung in Pawlowsk.

Raubgut-Rückgaben gibt es immer wieder, aber nur selten stammen die Objekte aus Privatbesitz. 2011 gab Deutschland die "Sphinx von Hattuscha" aus dem Berliner Pergamon-Museum an die Türkei zurück. Im selben Jahr fand ein Goldgefäß, das der Zoll bei einer Auktion in München als Hehlerware sichergestellt hatte, den Weg zurück in den Irak. Dass Raubgut aus Privatbesitz zurückgegeben wird, sei "eher ungewöhnlich und sehr zu begrüßen", sagt der Sprecher von Kulturstaatsminister Bernd Neumann, Hagen Philipp Wolf, der für "Kulturgüterrückführungsfragen" mit Russland zuständig ist.

Die Schulenburgs wollen mit der Rückgabe "ein Zeichen setzen", wie Stephan Graf von der Schulenburg sagt. "Im Vergleich zu Millionen von Toten in einem der blutigsten Kriege der Menschheitsgeschichte erscheint das freilich eher marginal." Die geplante Rückgabe könne "nicht mehr und nicht weniger sein als eine Geste".

(dpa)
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