Michael Schmidts Fotozyklus "Lebensmittel" Nicht schockierend, nicht ekelig

Leverkusen · Der Fotograf Michael Schmidt, Lehrer unter anderem von Andreas Gursky, setzt sich in seinem jüngsten Zyklus kritisch mit dem Thema "Lebensmittel" auseinander. Im Leverkusener Museum Morsbroich stellt er die Bilder erstmals vor: Einblicke in eine fragwürdige Welt aus Fleisch, Fisch und Gemüse.

Mit dem Essen hat es eine merkwürdige Bewandtnis: Längst wissen wir alles über die Schattenseiten der Massentierhaltung, der Agrarindustrie und der Aufbereitung von Lebensmitteln mit gesundheitsschädlichen Zusatzstoffen. Dennoch schmeckt es uns jeden Tag aufs Neue.

Der Berliner Fotograf Michael Schmidt (Jahrgang 1945) hat aus dieser Bewusstseinsspaltung künstlerisches Kapital geschlagen und einen Zyklus mit dem schlichten Titel "Lebensmittel" entworfen. Den stellt jetzt das Leverkusener Museum Morsbroich erstmals vor.

Wer erwartet hatte, dass Schmidt die Betrachter mit erstickten Hühnern aus Legebatterien konfrontiert, mit Gänsen, die zu Produzenten von Stopfleber vergewaltigt werden, oder mit Hummern, die in kochendem Wasser ihr Leben lassen müssen, hat den Fotografen unterschätzt.

Sechs Jahre durch Europa gereist

Schmidt schockiert nicht, er bildet nichts Ekelhaftes ab, hat kein fotografisches Pamphlet verfasst. Seine Ausstellung ist ein Essay, der keineswegs Abwehr hervorrufen will. Doch was will er dann?

Sechs Jahre lang ist Schmidt durch Europa gereist, hat Lauchzwiebelfelder, Kuhställe und Gehacktes in Plastikbeuteln abgelichtet und all das nicht etwa nach Ländern sortiert, sondern so aneinandergereiht, dass die Herkunft nicht mehr erkennbar ist. Schweine — noch lebend oder schon getötet? — sind von gleichformatigen Agrarlandschaften umgeben, Gewächshäuser, Verpackungen und zerschnippelte Fische wechseln einander ab, als sollten sie ein Panorama der menschlichen Ernährung bieten.

Schmidt hat die Einzelansichten in einem aus zahlreichen Grautönen bestehenden Schwarzweiß komponiert, wie man es bereits aus seinen sozialkritischen Serien "Waffenruhe", "Einheit", "Frauen" und "Irgendwo" kennt. In die "Lebensmittel" hat er erstmals einige Farbfotografien eingeschleust. Aber so dezent, dass die Schau als Schwarzweiß-Veranstaltung in Erinnerung bleibt. Denn Farbe verleiht den Bildern hier keine Buntheit, sondern nur eine Grundtönung, oft in Grün.

Wie in Supermärkten

26 Reisen haben 177 Fotografien erbracht, von denen nun 121 in Leverkusen vereint sind. Da sie keine Titel tragen, kann man die Geschichten nur ahnen, die sie erzählen. Es ist zum Beispiel die Geschichte vom tiefgefrorenen Fleisch aus Skandinavien, das nach Parma verfrachtet, dort aufgetaut und verarbeitet und anschließend in Deutschland verkauft wird.

Was die Ausstellung zeigt, ist nicht schlimmer als das, was man in Supermärkten erleben kann: blutiges Fleisch in Vakuumverpackung, schimmelnder Salat in Cellophan makellose Tomaten, bei deren Anblick man sich fragt, warum sie sich scheinbar unbegrenzt frisch halten.

Je länger man durch die Ausstellung streift, desto klarer erkennt man, dass man von ihr keine Antworten erwarten darf. Schmidt liefert Material als Grundlage eigener Fragen: Wie stehen wir dazu, dass die weggeworfenen Lebensmittel Europas und Nordamerikas den Hunger der Welt dreifach beseitigen könnten?

Welchen Beitrag leisten die Mindesthaltbarkeitsdaten zur Wegwerfmentalität? Würde eine Verteuerung von Lebensmitteln dazu führen, dass sich ihre Wertschätzung erhöht? Hilft es uns weiter, wenn wir nur noch Bio-Lebensmittel erzeugten — obwohl diese Produktion erheblich mehr landwirtschaftliche Fläche beansprucht?

Michael Schmidt regt zu solchen Fragen an, doch sein eigenes Ziel ist bescheidener: Er will in seinem Zyklus Dinge zeigen, die wir wissen, aber nicht sehen möchten. Er predigt nicht, erteilt noch nicht einmal Ratschläge. Markus Heinzelmann, Direktor des Leverkusener Museums, verrät immerhin, was Schmidt vermutlich nicht von sich aus preisgäbe: dass der Fotograf seinen eigenen Bedarf an Lebensmitteln in Bio-Läden deckt.

(RP/csr/das)
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