Oda Jaune "Düsseldorf war schmerzhaft — aber hat mich stark gemacht"

Berlin · Zum ersten Mal seit Jahren gibt die Witwe des 2007 gestorbenen Jörg Immendorff ein Interview. Die 36-Jährige lebt inzwischen in Paris und hat sich einen Namen als Künstlerin gemacht. Wir trafen sie in Berlin, wo sie einen Dokumentarfilm über ihre Arbeit präsentierte.

Oda Jaune — eine Begegnung in Berlin
Foto: -magdalena-hutter

Erster Eindruck: Sie ist so zierlich. Oda Jaune trägt weiße Lee-Jeans, dazu ein Leinentop. Sie steht auf hohen Sandalen aus Schlangenleder im angesagten Hotel "Das Stue" nahe dem Berliner Zoo und spricht mit hauchdünner Stimme: "Hallo", sagt sie. Sie lächelt und legt den Kopf schräg. Scheu, sympathisch. Sie setzt sich, stützt die Ellenbogen auf die Knie und bestellt Wasser ohne Kohlensäure. Ihre Handtasche ist aus sandfarbenem Wildleder. Ein Klatschmagazin schaut heraus, und als sie ihr roséfarbenes iPhone hervorkramt, sieht man auf dem Display, dass sie die "Greatest Hits" von Leonard Cohen gehört hat.

Oda Jaune — eine Begegnung in Berlin
Foto: Lax

Oda Jaune ist ein Rätsel. Die Frau, die als Michaela Danowska in Bulgarien geboren wurde, hat sich während ihrer Ehe mit Jörg Immendorff, den sie mit 17 kennengelernt hatte und der sie an der Kunstakademie unterrichtete, selten zu Wort gemeldet. Auch nach seinem Tod 2007 schwieg sie. Die junge Witwe verließ mit der gemeinsamen Tochter das Haus an der Stephanienstraße in Düsseldorf und zog nach Paris. Die Prozesse, die um Erbe und Kunst Immendorffs geführt wurden und werden, kommentiert sie nicht.

Sie ist 36 Jahre alt und hat sich als Künstlerin einen Namen gemacht. Ihre Arbeiten werden von der Galerie Daniel Templon verkauft, die auch Warhol und Lichtenstein betreute. Sie soll mit dem Musiker DJ Fetisch zusammenleben, hört man. Ansonsten weiß man wenig. Gerade ist eine Doku ins Kino gekommen, "Wer ist Oda Jaune?" heißt sie. Ein toller Film, obwohl sich Jaune 90 Minuten lang dagegen wehrt, von Regisseurin Kamilla Pfeffer gefilmt zu werden. Jaune ist zur Premiere nach Berlin gereist.

Heute will sie reden, ausnahmsweise. Auflage: keine Fragen zur Vergangenheit. Sie streicht das Haar aus dem Gesicht. Kann losgehen.

Wie sehen Sie sich selbst?

Oda Jaune Innerlich bin ich 1,80 Meter groß, hellblond, und ich habe eine tiefe Stimme.

Sind Sie oft in Düsseldorf?

Jaune Ab und zu. Ich habe Aufgaben dort und Sachen, um die ich mich kümmern muss.

Können Sie im Guten an jene Zeit zurückdenken?

Jaune Warum sollte ich schlecht von der Zeit denken?

Es sind unschöne Dinge passiert.

Jaune Ich habe zehn Jahre in Düsseldorf gelebt. Für mich war das eine wichtige Etappe. Wenn ich da bin, habe ich ein ganz warmes Gefühl.

Gibt es das gemeinsame Haus noch?

Jaune Ja.

Gehört es Ihnen noch?

Jaune Ja.

Da wohnen Sie gelegentlich?

Jaune Ja.

Schön ist es in der Ecke nicht, oder?

Jaune Wissen Sie, wenn Sie dort gelebt haben, ist es eine eigene Welt. Schönheit kann viele verschiedene Gesichter haben. Die Gegend entspricht nicht der gängigen Vorstellung von Schönheit. Aber für mich ist das Haus von großer Bedeutung.

War Paris Rückzug oder Neubeginn?

Jaune Ich musste eine Distanz zwischen mich und Düsseldorf bringen. Ich wusste, dass ich weiter große Verantwortung haben werde, und ich brauchte einen Ort, der mir die Ruhe gibt zu denken. Ich habe mich für Paris entschieden, obwohl ich die Sprache nicht konnte und dort nur eine einzige Person kannte.

Warum Paris und nicht San Francisco, London oder Florenz?

Jaune Kunst spielte eine große Rolle. Ich habe einen romantischen Bezug zu Paris. Zu diesem offenen Museum, in dem man umgeben ist von Schönem. Paris ist besser als San Francisco und schöner als London.

Paris ist Hauptstadt des Terrors. Merken Sie, dass sich etwas geändert hat?

Jaune Oh ja, das bekomme ich mit. Das tut sehr, sehr weh. Was gerade in Paris passiert, ist gewaltig. Es greift in meinen Alltag ein. Das Leben dort hat sich verändert. Die Menschen sind anders. Es ist Aggression in der Luft. Eine sehr aufgewühlte Zeit.

Sie werden dennoch dort bleiben?

Jaune Ja. Ich werde die Stadt nicht so schnell verlassen.

Lebt Ihre Tochter bei Ihnen?

Jaune Seit dem ersten Tag.

Ida müsste jetzt 15 sein.

Jaune Sie wird 15.

Welchen Rat geben Sie ihr?

Jaune Das ist eine sehr persönliche Frage. Das ist so heilig und groß, das ich nicht weiß, wo ich anfangen und aufhören soll, und deshalb fange ich gar nicht erst an. Es ist wahnsinnig groß, es ist das größte Geschenk, das man haben kann. Sie ist der größte Schatz, den ich menschlich besitze. Nichts kann das übertreffen.

Erklären Sie ihrer Tochter, was auf Ihren Bildern zu sehen ist?

Jaune Ja, wir reden darüber. Aber das ist kein Erklären. Sie hat manchmal Fragen, sie hat ein starkes Urteil. Sie interessiert sich für alles Visuelle. Sie ist ein wahnsinnig tiefer Mensch. Ich finde sie unglaublich. Mit ihr macht es auch Spaß, nicht zu sprechen. Aber mit ihr zu sprechen, macht auch sehr viel Spaß.

Sie ist ein Ratgeber?

Jaune Manchmal. Sie ist mit meiner Arbeit aufgewachsen. Sie hat zugeguckt, seit sie ganz klein war.

Im Film zeigen Sie den Reisepass, den Immendorff für Sie gemalt hat, als er Ihnen den Namen Oda Jaune gab: Oda heißt Schatz, Jaune gelb.

Jaune Das ist ein Gegenstand, der mir heilig ist. Man wird mehrmals im Leben geboren, nicht nur einmal. Und man stirbt auch mehrmals.

Im Pass ist ein Fehler. Ist Ihnen das aufgefallen? Immendorff hat sich bei Ihrem Geburtstag vertan.

Jaune Ich weiß, da bin ich neun Jahre zu alt. Ich finde das toll. Zahlen waren ihm nicht so wichtig.

Wie ist das, wenn man einen neuen Namen bekommen hat? Ruft man Freunde an und sagt, ich heiße jetzt anders?

Jaune Als ich nach Deutschland gekommen bin, kannte ich hier niemanden. Ich hatte also gar nicht das Problem, dass ich mich anders vorstellen musste. Es war eine Geburt, ein Neuanfang. Meine Eltern haben mich auch nie Michaela genannt. Sie hatten einen Kosenamen, den sie heute noch benutzen. Und mein neuer Name, der ja nur für die Kunst gedacht war, hat sich so stark etabliert, dass er geblieben ist.

Was ist der Kosename Ihrer Eltern?

Jaune Suse.

Sie haben eine bemerkenswerte Entwicklung geschafft: von der Ehefrau Immendorffs zur Künstlerpersönlichkeit aus eigenem Recht.

Jaune Ich musste vorher eine Distanz schaffen. Das ist mir mit dem Umzug gelungen. Ich arbeite sehr viel. Und ich verbinde meinen Alltag stark mit der Familie. Ich lebe in meinen Ideen. Ich pflege Freundschaften, das ist wichtig für mich. Öffentliche Auftritte machen wenig Sinn für mich.

Wie beginnt ein Bild, wie nimmt es seinen Anfang?

Jaune Es gibt Sachen, die mich so stark berühren, dass ich mich ihnen annähern will. Aber dann nehmen sie doch einen anderen Lauf. Manchmal fängt ein Bild präzise an, aber dann macht es sich frei und wird eine Überraschung. Ich fange mit etwas an, dass mich berührt. Das kann ein Foto sein oder eine Nachricht.

Was lesen Sie, welche Musik hören Sie?

Jaune Ich lese sehr wenig. Wenn ich male, bin ich nicht fähig zu lesen, Nachrichten zu hören oder Ausstellungen zu besuchen. Das ist eine hermetische Zeit, da sind meine Augen so müde, dass ich sie abends schließen muss. Ich hätte gerne die goldene Mitte, einige Stunden zu lesen oder fernzusehen, aber das habe ich nicht. Und bei der Musik? Ja, wenn ich eine Musik mag, höre ich sie in Schleife nahezu endlos. Zuletzt etwa "Via Con Me" von Paolo Conte. Manchmal ist es klassische Musik, manchmal Radio, und manchmal sind es nur Wortbeiträge aus dem Radio. Die Musik der Sprache also. Wenn ich Musik höre, dann eher am Ende eines Projektes, weil dann alles schon feststeht.

Ist Kunst für Sie ein Rückzugsbereich, in dem Sie vor dem Alltag sicher sind?

Jaune Ich glaube, dass ich mich mit dem Alltag beschäftige, wenn ich male. Kunst ist für mich kein Rückzug, sondern ein Angriff. Auf die Realität. Eine Auseinandersetzung. Jeder hat eine andere Art, mit dem Alltag umzugehen. Das ist meine.

Sie reagieren, indem Sie malen?

Jaune Es ist meine Sicht auf das Menschliche. Ich bin ein Mensch.

Ihr Künstler-Kollege Jonathan Meese hat gesagt, Sie malen sehr laut. Er meint, Ihre Kunst sei laut: deformierte Leiber, Versehrtheit. Das passt eigentlich gar nicht zu Ihrem Wesen.

Jaune Ja, das fällt mir auch auf.

Haben Sie immer schon so laut gemalt?

Jaune Ich war schon immer ehrlich, während ich gemalt habe. Die Kunst gibt eine Freiheit, die Kraft kostet. Aber ich muss das machen, das ist nicht meine Entscheidung, das ist in mir festgelegt.

Welchen Maler finden sie schlecht?

Jaune Es gibt keinen.

Quatsch.

Jaune Doch. Egal, was Sie sich ansehen, egal, wie hässlich: Wenn Sie es sich lange genug ansehen, werden Sie es irgendwann schön finden.

Sie sind einst nach Düsseldorf gekommen, um im Malen ausgebildet zu werden. Sie haben dann innerhalb von zehn Jahren mehr gelernt, als Sie erwartet hatten. Welche Lehre haben Sie mitgenommen?

Jaune Ich habe Grenzen überschritten. Ich habe gelernt, Sachen auszuhalten. Ich habe mir eine innerliche Stärke angeeignet, die geblieben ist. Die Zeit hat mir sehr viel gegeben. Ich bin Düsseldorf dankbar, obwohl die Zeit mit sehr viel Schmerz verbunden war. Sie hat mich stark gemacht.

(RP)
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