New York Mit Picasso zum neuen Auktionsrekord

New York · Das Gemälde "Die Frauen von Algier" wurde bei Christie's in New York für 179,365 Millionen Dollar versteigert. Der Käufer blieb anonym.

Ja, kann denn ein Gemälde überhaupt so teuer sein? Wer ist so verrückt, für ein Zerrbild von Picasso 179,365 Millionen Dollar hinzulegen - umgerechnet 160,675 Millionen Euro? In den sozialen Medien zerreißen sich die Leute wieder einmal die Münder, denn Christie's in New York hat erneut einen Rekord vermeldet. Das teuerste bei einer Versteigerung verkaufte Gemälde der Welt ist jetzt das Bild "Die Frauen von Algier (Version O)".

Es ist ja richtig: Mit dieser Summe hätte man viel Gutes tun können, hätte Flüchtlingen helfen und die Krebsforschung unterstützen können. Kritik regt sich aber erstaunlicherweise immer nur dann, wenn es um Kunst geht. Der Erwerb teurer Autos oder Brillanten ruft weitaus weniger Unverständnis hervor. Moderne Kunst zieht oft den Reflex nach sich: Das hätte ich auch gekonnt. Wohlan, kann man da nur sagen.

Warum erzielt Kunst so hohe Preise? Anders als etwa bei Autos handelt es sich bei teurer Kunst um Unikate. Man erwirbt nicht nur einen Gegenstand, sondern mit ihm zugleich den Nimbus des Künstlers. Picasso ist ein Name, den jeder kennt. Und wenn ein bedeutender Picasso nach 15 Jahren erstmals wieder zum Verkauf steht, sind alle Reichen zur Stelle, die sich selbst im Ruhm eines solchen Namens sonnen wollen. Kostbare Kunst verspricht Renommee. Manchem, der im Leben schon alles erreicht hat, gilt ein Bild als Krönung der eigenen Existenz.

Warum sind "Die Frauen von Algier" noch teurer als Picassos übrige Bilder? Weil das Bild eine Geschichte erzählt, die Picassos Bedeutung in der Kunstgeschichte unterstreicht. Das versteigerte Gemälde bezieht sich auf ein Bild von Eugène Delacroix, den Picasso bewunderte. Delacroix' Bild zeigt Frauen aus einem Harem in Algier. Im prüden Europa regte es die sexuelle Fantasie der Männer an. Picasso griff das in witziger Form auf, indem er in sein Gemälde viele weibliche Brüste, Bäuche und Hinterteile einbaute - allerdings in kubistisch verfremdeter Weise, als Collage. Zusätzlich beziehen sich "Die Frauen von Algier" auf Picassos Freund und Antipoden Henri Matisse. Er war ebenfalls für orientalische Szenen bekannt. Picasso und Matisse verkörperten gegensätzliche Richtungen in der modernen Kunst: Matisse als Verfechter einer Malerei der Harmonie, Picasso als der große Zertrümmerer. Oft sind sie einander in die Haare geraten; nach außen aber hat der eine den anderen stets verteidigt. Im Übrigen ist die jetzt versteigerte Fassung der Algerierinnen, die "Version O", die am stärksten ausgearbeitete der Serie, der sie entstammt - auch dies ein Argument für einen hohen Preis. Und das Bild hat einen großen Unterhaltungswert.

Wird solch teure Kunst allein als Wertanlage gekauft? Der Erwerber ist wie in den meisten Fällen anonym geblieben, so dass man nur spekulieren kann. Jahrzehntelang waren die Käufer von Spitzenwerken nicht in erster Linie Geldanleger, sondern Liebhaber, die sich Kunstgenuss und zugleich Ansehen erkaufen wollten. Daneben hat es schon immer Erwerber gegeben, die ihre Beute in einen Tresor legten und auf Wertsteigerung hofften. Nicht in jedem Fall ging diese Rechnung auf. In den vergangenen Jahren ist die Versuchung groß geworden, Kunst verstärkt als Geldanlage aufzufassen. Allein im vorigen Jahr hat der weltweite Umsatz der Versteigerungen um 26 Prozent zugenommen. Das hat auch die Preise in die Höhe getrieben. In Zeiten niedriger Zinsen wird Kunst als Währung immer begehrter - und paradoxerweise auch als Sicherheit. Dahinter steckt Experten zufolge diese Überlegung: Sollte es eines Tages einen Währungsschnitt geben und das Bargeld nur noch die Hälfte wert sein, würde zwar auch Kunst an materiellem Wert verlieren, jedoch vermutlich nicht so stark wie Bargeld, Aktien oder Immobilien.

Rekorde, Rekorde Wie sehr das Publikum derzeit nach Spitzenwerken giert, zeigt sich auch an den übrigen Ergebnissen der New Yorker Auktion. Für insgesamt zehn Künstler ergaben sich Preisrekorde: neben Picasso für Peter Doig, Robert Delaunay, Alberto Giacometti, Cady Noland, Jean Dubuffet, Diane Arbus, Jean-Michel Basquiat, René Magritte und Chaim Soutine.

(RP)
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