Plakatschau im Folkwang Museum 1967 - Eine Zeitreise in den Sommer der Liebe

Essen · 1967 kamen 100.000 Hippies nach San Francisco. Die Konzertplakate des "Summer Of Love" hängen heute im Folkwang-Museum Essen.

 Den Meister des psychedelischen Plakats nennt man ihn: Victor Moscoso entwarf mit "The Chamber Brothers Glasses" 1967 ein ikonografisches Plakat: Frau mit Schmollmund, coole Brille, schreiende Farben.

Den Meister des psychedelischen Plakats nennt man ihn: Victor Moscoso entwarf mit "The Chamber Brothers Glasses" 1967 ein ikonografisches Plakat: Frau mit Schmollmund, coole Brille, schreiende Farben.

Foto: Museum Folkwang/Moscoso

Hier und da in San Francisco verläuft sich noch ein Hippie, oder ein Mensch, den wir dafür halten, in dieser unserer uniformierten Allerweltsgesellschaft. Doch grundsätzlich würde man sagen, dass sie sich überlebt haben, die soften Männer, die lange Locken und Jesuslatschen tragen, freie Liebe praktizieren, Pazifisten sind und sich gegen jede Form von Autorität wehren. Ihre Nachfahren tragen wieder kurzes Haar, nehmen kein LSD mehr, leben in bürgerlichen Verhältnissen, so sie sich das leisten können.

Doch das Erbe der Hippies ist nicht zu unterschätzen. "Wer Hippies nur als Gammler abhakt, irrt", sagt der Kunsthistoriker René Grohnert vom Folkwang-Museum, "unsere Klischees sind zu dünn. Viele Hippies waren Weltbeweger und Querdenker mit hohem Potenzial." Ohne die Hippiekultur, die vor 50 Jahren in San Francisco mit einer Massenveranstaltung von 100.000 Menschen ihren Höhepunkt im "Summer of Love" ("Sommer der Liebe") fand, stünden wir heute anders da. Ohne Hippies und den kreativen Output der kalifornischen Überflieger gäbe es wahrscheinlich kein Silicon Valley, keinen Steve Jobs, keinen Bill Gates und demnach auch weder Windows noch iPhone. Dies mag verkürzt klingen, sagt Rohnert, sei aber im Einzelnen nachweisbar, etwa an den Biografien von Bill Gates und Steve Jobs.

1967 - das Jahr, in dem ein Ruck durch die Gesellschaft ging

 Bonnie MacLean: Plakat für die Yardbirds und Doors, 1967.

Bonnie MacLean: Plakat für die Yardbirds und Doors, 1967.

Foto: W. Vault, 2017

1967 war ein Ruck durch die westliche Gesellschaft gegangen, der von Kalifornien aus bis nach Europa massive gesellschaftliche Umbrüche anstieß und durchsetzte. Das Jahr war in den USA vor allem von zwei Ereignissen geprägt und überschattet: vom Vietnamkrieg, der mit 100.000 Lufteinsätzen, 500.000 Soldaten in den Bodentruppen und 200.000 Tonnen Bomben seinen Höhepunkt erreichte, sowie von den bis dato schlimmsten Rassenunruhen. Fast 8000 getötete Gegner listeten die Kriegsberichterstatter auf. Bei den Rassenunruhen in mehr als 100 Städten der USA starben weit über hundert Menschen. Es fanden die ersten Massendemonstrationen gegen Krieg statt - nicht allzu lange nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

In diesem gesellschaftlichen Zusammenhang erscheint der "Summer of Love" wie aus der Zeit gefallen. Vielleicht musste er aber auch als einzig mögliche Reaktion betrachtet werden. Man hat die Hippies nie Revolutionäre genannt, und doch waren sie es auf ihre ruhigere Art. Weil sie eine Lebensalternative entwarfen und einer elektrisierenden Verheißung des Glücks trauten. Sie schrieben "Make Love, not War!" ("Macht Liebe, keinen Krieg!") auf Mauern und auf ihre Haut, und sie etablierten eine Gegenkultur, deren Ausprägungen sich in der Literatur und Mode, in der Kunst und Musik wiederfanden.

 Gary Grimshaw: Plakat für Jimi Hendrix und Kollegen.

Gary Grimshaw: Plakat für Jimi Hendrix und Kollegen.

Foto: .Grimshaw 2017

Musik war existenziell wichtig für die Hippiekultur

Im Sommer 1967 spielten Jimi Hendrix und Janis Joplin umsonst in den Parks von San Francisco, Jefferson Airplane, The Grateful Dead, The Doors und die Yardbirds waren die angesagten Bands. Musik war existenziell wichtig für die Hippiekultur, nicht zuletzt berichten die Plakate jener Zeit davon, die für die Konzerte von den amtierenden Lieblingsgruppen und Musikern entworfen wurden. Eine Hand voll Künstler war dafür zuständig, die im Laufe kürzester Zeit eine völlig neue Art der Plakatgestaltung erfanden. Alle Quellen wurden genutzt, die man passend fand auf dem Weg in eine alternative Kultur, darunter Illustrationen aus Büchern der 1930er Jahre und Motive von Plakaten der Jahrhundertwende. Geografisch stand Europa als Inspirationsquelle ganz oben, aber auch die zeitgenössische amerikanische Kunst wurde beachtet sowie die neu aufkeimenden Strömungen Op und Pop Art.

Im Folkwang Museum Essen hat man dank der umfänglichen Sammlung von Lutz Hieber und Gisela Theising aus Hannover die visuellen Hinterlassenschaften des "Summer of Love" zu einer anregenden Ausstellung versammelt und thematisch aufbereitet. 250 psychedelische Plakate sind es, ergänzt durch Fotografien, Schallplattencover, Einlass- und Konzertkarten. So trocken wie man sich das vorstellt, ist diese Ausstellung nicht. Eine Lightshow rundet das Vergnügen ab, weitere Sound- und Lichteffekte verstärken das aus heutiger Sicht hysterische Flimmern jener Zeit.

Auch junge Menschen fühlen den Zauber der Plakate

Selbstverständlich stellt ein echter Zugehöriger der Achtundsechziger Generation, Jahrgang 1948 und jünger, andere Bezüge her beim Anblick der Plakate, da er ständig "ah" und "oh" und "weißt Du noch?" rufen muss. Vielleicht hatte er sogar ein Poster seiner Helden damals an die Wand seines Jugendzimmers gepinnt, die Musik verehrt, den Dresscode nachgeahmt, die Haare lang getragen und auf seinem selbstgebauten Bettpodest mit seiner Freundin rumgeknutscht.

Aber auch junge Menschen fühlen sich angesprochen, das zeigt das positive Echo bei Führungen im Folkwang. Plakate würden zu allen Zeiten verstanden, sagt der Kurator, denn sie sind ja plakativ, werben für etwas und haben eine Botschaft, selbst wenn sie wie bei diesen des Summer of Love oft nicht leserlich sind. Auf eine schnelle Erfassbarkeit der konkreten Mitteilung zielten die meisten Plakate jedenfalls nicht. Sie hingen ja an Bauzäunen, Strommasten und Kellerwänden - in den USA gab es zu dieser Zeit keine Litfaßsäulen. Manchmal waren sie sehr kleinformatig.

Was wo wann passierte, um welches Konzert und um welche Band es ging, schien nicht wichtig zu sein, man wusste eh, wo die Musik spielte. Eine nahezu unleserliche Typographie und die Kombination ungewöhnlicher Farbeffekte ordnet sich dem psychedelischen Duktus unter. Man muss diese Formen, diese neue Visualität, als Code einer ganzen Generation lesen, die sich eine Parallelwelt erschaffen hatte mit geheimnisvollen Chiffren. "Wir sind dagegen", hieß es damals, "und wenn wir dagegen sind, dann wollen wir wenigstens Spaß haben!" Die Plakate und Cover lieferten die Bilder zur Musik und Programmatik, sie waren ungewohnt für jene Menschen, die der Jugend fernstanden.

Grelle Komplementärfarben sehen wir in komplexen visuellen Anordnungen, Buchstaben, die auf der Grundfläche herumwabern wie beim Psychotrip, Wörter, die sich zu Bäumen und Gesichtern verformen. Ornamente, krasse Schnitte, Anspielungen und weiteres hoch assoziationsreiches Material, das auf Empfindung und Rausch zielte. Als namhafte Plakatkünstler und Designer dieser Zeit gelten Victor Moscoso, Bonnie MacLean, Gary Grimshaw, Lee Conclin, Bob Schnepf .

Kurator René Grohnert wertet die Plakate als Belege dafür, dass sich die Hippiekultur in vielen gesellschaftlichen Bereichen engagierte - jenseits aller verkürzenden Klischees. Das psychedelische Plakat hat sich variationsreich fortentwickelt. Doch Anfang der 70er Jahre war der neue Stil schon auf dem Rückzug. Das berühmte Plakat für das Woodstock-Festival 1969 wurde als Auftrag einer Agentur übergeben und hatte stilistisch mit dem Summer of Love nichts mehr zu tun.

Der Besuch der Plakatschau wird zur Zeitreise. Den Hippies sei Dank: Die Buntheit unserer Jahre ist im Summer of Love geboren.

(RP)
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