Kultur-Wochenvorschau Verkannte Schätze — heute mal mit Sarah Connor

Düsseldorf · Was sehen? Was lesen? Was hören? – Immer zum Wochenbeginn gibt die Kulturredaktion künftig Empfehlungen. Heute geht es um Sarah Connor, Martin Walker und Gustav Mahler.

Was sehen? Was lesen? Was hören? — Immer zum Wochenbeginn gibt die Kulturredaktion künftig Empfehlungen. Heute geht es um Sarah Connor, Martin Walker und Gustav Mahler.

Sarah Connor auf Deutsch singen hören

Pop Und dann hört man diese Platte, und man kann es nicht fassen: Es ist tatsächlich ein Soul-Album, und es hat deutsche Texte. "Vier Uhr nachts — hältst Du mich für dumm / Ich weiß genau, Du machst jetzt mit ihr rum", singt Sarah Connor in "Kommst Du mit ihr". Darin ist viel Schmerz und Verbitterung — zunächst jedenfalls. Denn dann lässt sie es grooven, sie schnipst mit den Fingern, hinter ihr formiert sich der weibliche Background-Chor, und im Crescendo vereint schmettern die Schwestern den Untreuen gegen die Wand.

"Muttersprache" (Universal) heißt das neue Album von Sarah Connor. Es ist das erste des einst größten deutschen Popstars nach fünf Jahren. Es ist Connors erstes auf Deutsch und ihr erstes selbst geschriebenes — und es ist gelungen. Man nehme nur "Wie schön Du bist", die Single, die so stark nach "Diamonds" von Rihanna klingt: Connors Stimme ist weit nach vorne gemischt, man hört Connor einatmen, man hört das leise Schmatzen beim Formen der Worte.

Sie stellt Intimität her, dazu passen die Promo-Bilder zur CD, die wirken, als habe der Fotograf Connor aus dem Bett geklingelt, weil sie sonst das Casting für den neuen Godard-Film verpasst. Dieses Album hat eine sympathische Erzähler-Stimme, Connor inszeniert sich als Gegenbild zu Helene Fischer, als vernarbte, versehrte und versonnene Frau und Mutter von Mitte 30. "Muttersprache" ist Schlagersoul mit Herz und Möhrchenbrei auf der Seidenbluse. Sarah Connor knipst den Kronleuchter an, aber sie will nicht nach Las Vegas, sondern früh ins Bett.

Es gibt auf dieser von Peter Plate (Rosenstolz) piano- und streicherselig eingerichteten Platte Ausfälle in die Deutschrock-Folklore. Da wird sich am Glück und am Leben besoffen, da wird viel gereimt, da werden die Konsonanten so Udo-mäßig abgeschliffen, was ziemlich aufgesetzt klingt.Und Gesellschaftskritik ist auch nicht Connors Sache.

Aber das Gros ist toll, und mit "Bedingungslos" hat Sarah Connor einen Ohrwurm, gegen den Helene Fischer ihr goldglitzerndes Mikrofon eintauschen würde.
Philipp Holstein

Die Freuden des Zeltens am Meer

Kinderbuch Das ist eine schöne Gelegenheit, ein Loblied zu singen auf einen der besten deutschen Illustratoren, auf einen Mann, der einen mit wenigen Federstrichen tief berühren kann. Philip Waechter heißt er, und weil er so fein zeichnet und gerne Kinder malt, denen eine Traumwolke über dem Kopf steht, darf man ihn ruhig den deutschen Sempé nennen — in Anlehnung an den Illustrator des "Kleinen Nick". 2008 erschien das Buch "Sohntage", darin brachte Waechter ins Bild, wie das ist, auf einmal ein Kind zu haben, wie sich das anfühlt, und wie man sich aneinander gewöhnt und sich aneinander freut. Und nun kommt "Endlich wieder zelten!" (Beltz & Gelberg) , und darin beschreibt er die Vorzüge des Zeltens, wenn man ein Junge ist und gerne Flaschenpost verschickt und Klebe-Spaghetti kocht. Wenige Seiten hat der Band nur, aber darin steckt die ganze Wahrheit. Philipp Holstein

Der neue Roman von Martin Walker

Krimi In der fiktiven Kleinstadt Saint-Denis in der französischen Périgord-Region möchte jeder leben, der einen der Bruno-Krimis von Martin Walker gelesen hat. Dort geht es zu wie im Paradies: Die Nachbarn kennen sich und helfen sich, es gibt Trüffel und Wein. Gesellschaftspolitische Probleme kommen in Saint-Denis nicht vor, doch die Bewohner müssen sich immer wieder gegen die das Idyll zerstörenden Kräfte verteidigen, die mal in Gestalt der europäischen Bürokratie, mal in Gestalt der chinesischen Mafia daher kommen. Im neuen, siebten Bruno-Roman "Provokateure" (Diogenes-Verlag) geht es um den autistischen Neffen des Mathematiklehrers Momu, der auf einer afghanischen Militärbasis auftaucht und zurück in seine Heimatstadt will. Die Familie wähnt ihn in einem Internat für autistische Jugendliche. Bruno muss die Hintergründe dieser Geschichte ermitteln. Aber Bruno wäre nicht Bruno, wenn es neben der eigentlichen Krimihandlung auch noch viel Persönliches aus seinem manchmal Junggesellenleben zu erzählen gäbe. Seine Figur reift mit der Zeit und mit ihm die Geschichten, die Walker über sie erzählt. Über die sieben Bücher hinweg sieht man Bruno gern dabei zu, wie er von Fall zu Fall eilt und von Frau zu Frau.
Franziska Hein

Abschied nach Noten: Mahlers 9. Symphonie

Klassik Die 9. Symphonie D-Dur von Gustav Mahler, komponiert kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs in der Einsamkeit eines Südtiroler Almhäuschens, gilt als grandiose Weltabschiedsmusik. Sie beschwört das Ende der klassisch-romantischen symphonischen Tradition, sie riskiert in vielen ihrer Harmonien bereits einen scheuen Blick in die Zukunft der Zwölftonmusik, steht jedoch immer auf einem Boden, der auch dem ängstlichen Hörer einigermaßen bekannt vorkommt. Trotzdem: Hinter dieser Musik lauert ein Abgrund. Alban Berg und Arnold Schönberg begrüßten das Opus als das Werk eines Bruders im Geiste.

Dieses Meisterwerk Mahlers gilt als extrem schwer zu interpretieren, weil auf der einen Seite eine verdächtige Morbidezza und auf der anderen Seite eine falsche Sachlichkeit drohen. Vor allem der langsame Schlusssatz mit seiner verzehrenden Chromatik wird ziemlich oft sehr gefühlig und larmoyant interpretiert, als könne die Musik vor lauter Heimweh und Trennungsschmerz nicht loslassen — und der Dirigent auch nicht.

Nun erreicht uns aber ein wunderbarer Imperativ, wie dieses Stück zu spielen ist, ausgerechnet aus dem angeblich emotionsfreien Manchester. Dort pflegt man seit Menschengedenken eine großartige Mahler-Tradition — durch das Hallé-Orchester, dem immerhin schon Sir Thomas Beecham vorstand und das sein langjähriger Chefdirigent Sir John Barbirolli zu einem der führenden englischen Orchester formte. Seit dem Jahr 2000 leitet Sir Mark Elder das Ensemble.

Aus ihrer Neuaufnahme von Mahlers Neunter (entstanden beim hauseigenen Label Hallé (2 CD HLD 75412 / Vertrieb: Naxos) hört man die profunde Mahler-Vergangenheit heraus — und zugleich den Wunsch, ästhetisch den Mörtel aus den Fugen zu kratzen. So luftig, transparent, gleichsam radiologisch vermessen und trotzdem hochgradig expressiv hat man das Werk selten gehört. Das Scherzo ist keine geifernde Burleske, sondern ein fast ziseliertes Blitzlichtgewitter, der Ländler atmet beinahe wonnig — doch die Sensation ist das Finale: Die glühende Spannkraft der Langsamkeit formt Elder meisterhaft. Das Orchester — ja, das darf man sagen — protzt mit seiner Kompetenz.
Wolfram Goertz

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