Schließung in Wuppertal Wenn Theater über die Wupper gehen

Wuppertal · Die Finanznot der Städte trifft vor allem die Sprechtheater. Jetzt gibt Wuppertal sein Schauspielhaus auf, nach 47 Jahren.

 Tanzzentrum oder Museumsbau? Es gibt Ideen für die Zukunft des Wuppertaler Schauspielhauses, aber kein Geld.

Tanzzentrum oder Museumsbau? Es gibt Ideen für die Zukunft des Wuppertaler Schauspielhauses, aber kein Geld.

Foto: dpa

Das Tückische an sozialen Prozessen ist, dass sie sich schleichend vollziehen, scheinbar ereignislos, beharrlich unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Und am Ende kann niemand sagen, wann sich das Klima in einer Stadt verändert hat. Nur, dass sich da etwas nicht mehr gut anfühlt.

Darum ist seit Montag in Wuppertal alles wie immer. Und doch gar nichts. Denn mitten in der Stadt steht ab heute ein Theater, in dem kein Licht mehr angehen wird, um eine Bühne zu beleuchten, auf der über Existenzielles gesprochen wird: über Leben und Tod, Hoffnung und Schuld, Liebe und Verrat. Und darüber, wie wir miteinander leben wollen.

Nach knapp 50 Jahren Theatergeschichte ist das Wuppertaler Schauspielhaus, dieser mächtige weiße Bau im Tal der Wupper, der Stolz der Bürgerschaft von einst, ab dem 1. Juli geschlossen. Weil die Stadt hochgradig verschuldet ist, weil sie sich die Renovierung ihres Sprechtheaters nicht mehr leisten kann, weil ihr das Geld ausgeht für die Kultur — wie vielen Städten im Land. So lautet die schlichte, die unerbittliche Erklärung. Natürlich ist die Sache komplizierter.

Das Wertgefüge der Kommunen verschiebt sich

Wenn in Städten wie Wuppertal, Hagen, Moers die Sprechtheater immer weiter verkleinert werden, wenn in Mönchengladbach Abrissbirnen das Theater aus dem Stadtbild tilgen, wenn alte Bühnenehen wie zwischen Duisburg und Düsseldorf in Gefahr geraten, dann hat das wirtschaftliche Gründe — und gesellschaftliche Ursachen. Dann hat sich im Wertegefüge der Kommunen etwas verschoben. Dann zählt der alte Bildungskanon nicht mehr, ist nicht mehr wichtig, ob Schüler ihre Pflichtlektüren auch einmal lebendig erleben können.

Dann erlebt eine Kunstform einen Bedeutungsverlust, der an die Substanz geht — die des Theaters, aber auch die der Gemeinschaft, die glaubt, keinen Ort mehr zu benötigen, an dem alte Texte aktuell werden — um die Gegenwart zu befragen. Wer ins Theater geht, kann sich amüsieren, ärgern, grübeln — in jedem Fall wird er Zeuge eines einmaligen Vorgangs: Nur im Theater erzählen Menschen anderen Menschen Geschichten von Angesicht zu Angesicht. Das ist ein humaner Akt. Und wenn dafür kein Platz mehr ist in einer Stadt, dann geht Menschlichkeit verloren. Darum schließt mit einer Bühne mehr als ein Vergnügungsort. Darum sollte das nicht nur Theaterfreunde beunruhigen.

Die prophetischen Worte von Böll

Als Wuppertal sein Haus 1966 eröffnete, lud die selbstbewusste Bürgerschaft als Redner den kritischen Schriftsteller Heinrich Böll ein. Der sprach über "Die Freiheit der Kunst": Kein Staat, keine Stadt, keine Gesellschaft könne der Kunst Freiheit geben, weil sie selbst die Freiheit sei. Doch könne man ihr Freiheit nehmen, jene nämlich, sich zu zeigen. Damals ahnte niemand, dass der Dichter prophetische Worte gesprochen hatte.

Dass 47 Jahre später dem Sprechtheater der Stadt die Freiheit genommen werden würde, auf der großen Bühne das Wort zu ergreifen, Diskussionen anzuregen wie Böll, der dem Staat in seiner Rede auch vorwarf, sich aus seinen sozialen Pflichten zurückzuziehen. Böll wurde damals bezichtigt, er liefere den linken Radikalen im Land die Theorie zum Terror. Es waren erbitterte Auseinandersetzungen und notwendige. Sie nahmen ihren Anfang im Theater, weil dieser Ort ernst genommen wurde. Weil er Autorität besaß — und die Bürger ein Gespür dafür hatten, dass sie einen öffentlichen Raum der Verständigung brauchen.

Wuppertal wird auch in Zukunft keine theaterlose Stadt sein. Das Ensemble ist geschrumpft von 40 Darstellern in den goldenen Zeiten auf in Zukunft zehn, doch die werden weiter Theater machen, erst in der Oper, dann in einer neuen kleinen Spielstätte nahe der Oper. Finanziert von Theaterfreunden. Und weil Intendant Christian von Treskow nicht ablassen will, Sperriges zu zeigen und nicht mit der erwarteten Auslastung aufwarten konnte, übernimmt ab übernächster Spielzeit die Österreicherin Susanne Abbrederis die Leitung. Sie will mit der Universität zusammenarbeiten, mit anderen Bühnen in der Region. Ein Kraftzentrum nennt sie ihr Ensemble unverdrossen. Doch klingt das nur noch tapfer.

Selbst eine winzige Truppe kann überzeugendes Theater machen. Das zeigt das agile Klein-Ensemble in Moers. Das beweist der gewitzte Intendant Peter Carp im chronisch klammen Oberhausen, der sein Publikum in Stadtprojekte verwickelt und ihm auch geniale Theaterchaoten wie Herbert Fritsch zumutet. Mit Erfolg. Aber eine Zehn-Mann-Truppe kann nur noch Nadelstiche setzen, eine sonore Stimme in der Stadt ist sie nicht mehr.

In Wuppertal gibt es Konzepte für die Zukunft: Ein Pina-Bausch-Tanzzentrum könnte in dem Theaterbau entstehen oder das Von-der-Heydt-Museum dort einziehen. Darum will Wuppertals Kulturdezernent Matthias Nocke von Beileidsbekundungen nichts hören, spricht lieber von mutigen Lösungen für die Zukunft. Die müssten allerdings Sponsoren bezahlen, das Land hat abgewinkt, die Bürgerschaft schafft es nicht mehr allein. Seit Böll 1966 seine Eröffnungsrede hielt, hat Wuppertal 50 000 Einwohner verloren. Nun passt das Theater seine Kapazitäten an, sagen manche. Das neue Theater wird 160 Plätze haben.

(RP)
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