Wechsel bei den Bayreuther Festspielen Wotans Abschied

Bayreuth (RP). Wolfgang Wagner, der Leiter der Bayreuther Festspiele, hat gestern seinen Rücktritt bekannt gegeben. Jetzt sollen seine beiden Töchter, die Halbschwestern Eva und Katharina Wagner, ein gemeinsames Konzept vorlegen.

Wechsel bei den Bayreuther Festspielen: Wotans Abschied
Foto: AP

Es gab Leute, die sich den ernsthaften Wagnerianern zurechnen, die in Bayreuth auf eine biologische Lösung der Machtfrage spekulierten. Man dürfe den Altersstarrsinn des Intendanten Wolfgang Wagner nicht unterschätzen, hieß es, man müsse seine Unbeugsamkeit einkalkulieren und davon ausgehen, dass er nach dem Tod seiner Frau Gudrun in völliger Einsamkeit vielleicht noch irrwitzigere Pläne für die Zukunft der Wagner-Festspiele entwerfen werde.

Aber nichts von alledem, Wolfgang Wagner ist gestern den Weg aus der umdüsterten Macht in den Frieden der Welt gegangen. Das hatte sich bereits angekündigt, als er seine beiden Töchter Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner in einem Brief an den Stiftungsrat als gemeinsame Kandidatinnen für seine Nachfolge angepriesen hatte. Seitdem war klar, dass Wolfgangs Tage gezählt sind. Wotans Abschied ist gekommen, aber es handelt sich nicht um eine Götterdämmerung. Wer das behauptet, kennt Wagners Oper nicht. Da sitzt die Familie Wotan im brennenden Walhall, guckt sich den maroden Zustand der Welt an und hofft auf deren Rettung durch Reinigung.

Ein solcher glimmend-pompöser Abgang ist Wolfgang Wagners Abgang in Bayreuth nicht beschieden. Der Alte löst sich, aber geht aufrecht; gewiss wird er von seinen beiden Töchtern um Rat gefragt werden. Tun sie das einvernehmlich? Ist die bannende Trennlinie der Stiefgeschwisterschaft überwunden? Sind sie ihrem Vater, an dem Gudruns Tod noch frisst, eine zwiefache Cordelia, die dem alten König Lear Trost spendet? Man kann über die Wagners vieles sagen ­ auch dass sie eine Neigung zu inhumanen Verhältnissen haben.

Das hängt damit zusammen, dass Bayreuth seit je ein fantastischer Gerichtsstand für die Öffentlichkeit des Privaten ist. Wolfgang Wagner stand nach 1945, als er die Festspiele mit seinem Bruder Wieland aufbaute, hart in dessen langem Schatten. Wieland galt als der kühne Erneuerer der Ästhetik, Wolfgang als Groschenzählmaschine. Der eine machte Kunst, der andere Bilanzen. Das hat Wolfgang nicht vergessen, und deshalb bewahrt er sich seine innige Ablehnung für Nike Wagner, Wielands Tochter.

Diese kriegerische Intellektuelle zieht seit Jahren mit der Parole, Bayreuth gehöre von innen renoviert, von einer Podiumsdiskussion zur anderen. Damit meint sie zweierlei: auch andere Werke als diejenigen Wagners spielen (was 99,4 Prozent der Wagner-Fans, also der Kundschaft, nicht wünschen) und alles entrümpeln, was an den verhassten Onkel Wolfgang erinnert.

Der hingegen hat seine Töchter vor der Öffentlichkeit vereint, es ist also damit zu rechnen, dass bald die (gemeinsamen?) Bewerbungen Evas und Katharinas eingehen werden. Eva, die 63-jährige Kunstmanagerin, lebt in Frankreich, wo sie als Beraterin des Festivals von Aix-en-Provence arbeitet. Sie ist mit dem Filmkaufmann Yves Pasquier verheiratet, mit dem sie einen Sohn hat. Sie gilt als scheu und klug. 1967 wurde sie Assistentin ihres Vaters bei den Bayreuther Festspielen und übernahm in den folgenden Jahren Verantwortung etwa bei der Besetzung des "Jahrhundertrings” von Patrice Chéreau.

Katharina ist dagegen das 29-jährige Signalhorn Bayreuths, eine outrierte Person, die allerdings den Pfiff der jungen und steil begabten Regisseuse hat. Sie besitzt die Provokationslust der ganzen Familie, und das ist kein schlechter Trumpf im Werben um den Stiftungsrat. Eva und Katharina als Team hätten den Charme und die Kraft der zwei Herzen und der zwei Köpfe: Akkuratesse und planerische Überlegenheit auf der einen, Tatenlust und geistiges Züngeln auf der anderen Seite. Es besteht jedoch die erhebliche Gefahr, dass die beiden Grazien einander buhlerisch neutralisieren.

Es handelt sich um echte Wagners ­ und es könnte wieder so sein wie ehedem bei Wieland und Wolfgang: ein Neidgeschäft hinter der Fassade der Harmonie. Jetzt läuft die Frist. Vier Monate sind Zeit. Eva weiß, dass sie nicht mehr viel bestellen kann; etliche Bayreuther Verträge sind von Wolfgang und Katharina bereits bis 2015 gemacht. Wenn sie also nach Bayreuth zurückkommen sollte, wäre das fürs Publikum ein Amtsantritt. Für sie selbst wäre es ­ noch ein Akt des Friedens ­ ihre Heimkehr.

(RP)
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