Düsseldorf Kunstberaterin wirft NRW Vandalismus vor

Düsseldorf · Streit um Kunstschatz der Westspiel GmbH: Museumsdirektoren pochen auf Unesco-Konvention, um geplanten Verkauf zu verhindern.

In Nordrhein-Westfalen ist ein Streit um einen mehr als hundert Millionen schweren Kunstschatz entbrannt, der im Besitz des Landes und damit auch des Steuerzahlers ist. Dürfen zwei Schlüsselwerke von Andy Warhol aus der Kunstsammlung des Spielcasinos Aachen bei Christie's in New York versteigert werden, und dürfen die geschätzten Erlöse in Höhe von 130 Millionen Dollar zur Sanierung der Spielcasinos im Lande verwendet werden? Müssen Kunstwerke von solch international herausragender Qualität, wie sie die Warhol-Bilder "Triple Elvis" (1963) und "Four Marlons" (1966) darstellen, nicht im Land bleiben und den hiesigen Kunstsammlungen hinzugefügt werden - wie es 26 Museumsdirektoren in einem Brandbrief an Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) gefordert haben? Und was ist mit den seit Jahren von der Bildfläche verschwundenen weiteren rund 90 Kunstwerken, die Mitte der 70er Jahre von der Westdeutschen Spielbanken GmbH erworben wurden, um das erste neu gegründete Spielcasino in Nordrhein-Westfalen mit einer prachtvollen zeitgenössischen Kunstsammlung auszustatten? Darunter Schlüsselwerke von Salvador Dalí, Fernando Botero, Robert Indiana, George Segal, den Zero-Künstlern Otto Piene, Heinz Mack und Günther Uecker sowie eine Zehner-Serie von Andy-Warhol-Multiples mit Marilyn Monroe als Motiv, die seinerzeit 25 000 D-Mark kostete.

Die Kunstberaterin Marianne Pannen aus Düsseldorf ist Zeitzeugin. Sie war damals für die WestLB und den mit dem Umbau des Aachener Kurhauses zu einem Casino beauftragten Architekten die Ansprechpartnerin in Sachen Kunst. Das Casino sollte edel und schick werden. Aus diesem Grund hatte man sich entschieden, eine hochrangige zeitgenössische Sammlung zu erwerben. Dieselben Künstler, die der Sammler Peter Ludwig in jener Zeit für seine Museen erwarb, kaufte die Casinogesellschaft auf Anraten von Marianne Pannen für die exklusiven Räume: Pop Art etwa, weil sie zu jener Zeit elektrisierte, und Zero-Kunst, die besonders der Architekt schätzte. Im Eingang des prächtigen Gebäudes im Aachener Kurgebiet hing ein 13 Meter hoher "Lichtregen" von Heinz Mack mit 7000 elektrischen Lichtquellen und einer Steuerung für 256 Variationen. Damals kostete diese als ein Hauptwerk Macks anzusehende Arbeit 100 000 D-Mark, sagt Pannen. Sie spricht von Vandalismus im Umgang mit der Kunst, weil man das Werk 2003 einfach entsorgte.

Rund 1,5 Millionen Mark sollen die mehr als 80 Werke (inklusive Mappen und Editionen) damals gekostet haben: der "Triple Elvis" von Warhol 83 000 Dollar, der seltenere "Four Marlons" von Warhol schlug schon mit 125 000 Dollar zu Buche. "Unsere Sammlung entsprach der eines modernen Kunstmuseums", sagt Pannen. "Das Budget schien nach oben offen, WestLB-Chef Poullain nickte alles ab." In den Anfängen der Casinos, von denen Aachen das erste war, sei so viel Geld verdient worden, dass jedes Jahr renoviert werden konnte und die Kunst bald abgeschrieben war. Das weiß Pannen aus Gesprächen.

Der Renovierungsdruck, der aufgrund des regen Spielbetriebs und der damit einhergehenden Beschädigungen der Kunstwerke entstand, hat womöglich das Sterben der hochkarätigen Sammlung eingeleitet. Man war nicht so wie ein Kunstmuseum ausgestattet, hatte weder Experten noch Werkstätten, um anfallende Restaurierungsarbeiten adäquat auszuführen. Aber es fehlte auch der Kunstsinn der alten Garde. Es kamen neue Chefs, und es kamen neue Ideen von Corporate Identity: Die bis in die Beleuchtung und den Teppichboden hinein geplante Erstausstattung durch den kunstsinnigen Architekten galt nichts mehr.

Alles wurde anders. Schleichend verschwand die Kunst aus dem Casino, das nach Dalís Muse benannte Sternerestaurant "Gala" schloss, die angesagte, nach der Künstlergruppe Zero benannte Edeldiskothek zog nicht mehr die Reichen und Schönen an. Der Niedergang des Spielcasinos war unaufhaltsam.

Dennoch war einigen Leuten klar, um welchen atemberaubenden Wert der Preis der Kunstwerke gestiegen war. Pannen erinnert sich: "Die hatten plötzlich Dollarzeichen in den Augen!" Mehrere Versuche einer Schweizer Galerie, den seinerzeit bei ihr gekauften Warhol zurückzukaufen, scheiterten. "Es gab rechtliche Hürden", sagt Pannen, die auch dieses Mal vermitteln wollte. Spätestens da hätten sich die Kunstverantwortlichen im Lande um den Schatz kümmern müssen.

Die Museumsdirektoren beharren auf ihrer Forderung, den Kunstschatz nicht unter den Hammer zu bringen. Er gehöre zur Sammlungsgeschichte des Landes, heißt es in ihrem Brief an Ministerpräsidentin Kraft. Der geplante Verkauf stehe in schroffem Gegensatz zu den internationalen Konventionen von Unesco und Icom, nach deren Statuten ein Kunstverkauf nur ausnahmsweise gebilligt werden könne, wenn größerer kultureller Nutzen dadurch nachweisbar sei. Bei der Renovierung der nordrhein-westfälischen Casinolandschaft kann davon nicht die Rede sein.

(RP)
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