Frankfurt Let op, die Niederländer kommen

Frankfurt · Keiner unserer Nachbarn ist mit seinen Autoren bei uns so erfolgreich wie Flandern und die Niederlande.

Das Gastland der Buchmesse ist diesmal eine kleine Mogelpackung. Denn tatsächlich präsentiert sich keine Nationalliteratur in Frankfurt: Mit Flandern und den Niederlanden stellt sich - über Grenzen hinweg - vielmehr eine Sprachgemeinschaft vor. Vielleicht ist allein das europäischer gedacht als so manch kluges Manifest zur Zukunft der Staatengemeinschaft.

Zumal auch die Gastgeber miteinbezogen werden: Niederlande, Belgien und Deutschland teilen sich immerhin die Nordseeküste. Und damit das alle verstehen, ziert die Hälfte des Gastland-Pavillons - eröffnet vom niederländischen König Willem-Alexander und dem belgischen Monarchen Philipp - ein riesiges, drei Länder verbindendes Nordsee-Panorama. Vielleicht ist die Küstenteilhabe der Grund dafür, warum niederländische Literatur hierzulande so beliebt sei. Eine mutige These, die uns Pavillon-Chefin Judith Uyterlinde zum Bedenken mit auf den Weg gibt. Zumindest das Motto des Zwei-Länder-Auftritts scheint schwerer zu widerlegen sein: "Dies ist, was wir teilen." Das ist in diesem Herbst ziemlich viel. Über 450 Neuerscheinungen des Ehrengastes wurden ins Deutsche übersetzt und finden sich in unseren Buchhandlungen. Befeuert von 171 Autoren, die derzeit auf Lesereise durchs Land touren. Niederländische Bücher sind beliebt und darum auch ein Geschäft. Über 130 deutsche Verlage führen Autoren des Gastlandes in ihren Programmen. Wobei Altmeistern wie Gerbrand Bakker, Maarten 't Hart, A. F. Th. van der Heijden, Margriet de Moor oder Connie Palmen neue Talente folgen - Nina Weijers etwa oder Wytske Versteeg.

Mächtig diskutiert wird aber ein Sachbuch des Bestsellerautors und PEN-Vorsitzenden David van Reybrouck. Das heißt "Gegen Wahlen" und ist ein sehr ernstes Plädoyer für die politische Entscheidungsfindung nach antikem Muster: per Losentscheid soll danach regiert und "unsere kraftlos gewordene Demokratie" vitalisiert werden. Viel Interesse gibt es dafür auf der Messe aus dem arabischen Raum. Ein ägyptischer Verleger - der sich mit Supermann-Shirt als polyglotter Mensch zu erkennen gibt - will es unbedingt in seinem Programm haben.

Niederländische Schriftsteller werden politischer. Einen, der es schon früh war, treffen wir am Rande der Messe im Hotel: Leon de Winter, der in seinem neuen Roman "Geronimo" Ungeheuerliches erzählt: Al-Qaida-Terrorist Usama bin Laden soll den Amerikanern durch einen Tunnel entwischt sein. Der Getötete, der der Welt nach dem Kommando-Einsatz präsentiert wird, ist bloß ein Doppelgänger.

Eine verrückte Geschichte, keine Frage. Aber eine, die uns einen anderen Bin Laden zeigt. Nämlich jemanden, der auch fürsorglich ist und aus Barmherzigkeit ein kleines Mädchen aufnimmt. Das entschuldige nichts, so de Winter. "Aber mir war klar, dass in meiner Geschichte Bin Laden mehr Aspekte haben muss, als nur das Monster zu sein, das wir zu kennen glauben." Auch der Terrorist sei einmal geboren und habe eine Mutter gehabt. Dass er im Roman gerade auch als ein Mensch auf uns zukomme, macht nach den Worten des 62-Jährigen "das Monströse an ihm nur größer".

"Geronimo" ist mehr als ein fiktionales Spiel. Es reicht desillusionierend bis in unsere Gegenwart. Weil nach dem tatsächlichen Tod Bin Ladens sich in der Welt nichts geändert habe, sagt de Winter. "Wir im Westen sind ohnmächtig, all' die Probleme im Osten zu lösen. Das können nur die Muslime selbst." Leon de Winter hat ein spannendes Buch über etwas Vergangenes geschrieben und damit ein Bild auch unserer Zukunft gezeichnet.

(los)
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