Liebe nach Noten: das erregte Klaviertrio von Brahms

Im wunderschönen Monat Januar 1854 benötigte Johannes Brahms genau drei Wochen, um sein Klaviertrio H-Dur op. 8 zu schreiben. Bis heute wird es meistens in der Umarbeitung aus dem Jahr 1889 gespielt. Es war offenbar etwas vorgefallen, das Brahms zu dieser Revision zwang. Mit der von ihm glühend verehrten Clara Schumann hatte er sich geeinigt, dass beide ihre früheren Briefe austauschen und vernichten wollten. War jenes H-Dur-Trio auch ein solcher Brief?

Brahms schrieb später, er habe mit seiner Umarbeitung Gestrüpp zurückgeschnitten. Gewuchert hat es in seinem Frühwerk in der Tat gewaltig, es herrscht ein dramatisches Drängen, das dem reifen Brahms unlieb war. Also komponierte er sein Opus 8 um die Themenstümpfe herum neu, tilgte ganze Abschnitte und unterzog die Musikzitate aus Beethovens "Ferner Geliebter" und aus Schuberts "Schwanengesang" einer biografischen Entschärfung. Kein Raunen der Nachwelt sollte sich einstellen, ob Brahms damals der Gattin Robert Schumanns, der wenig später in die Heilanstalt kam, nicht ein musikalisches Bekenntnis gemacht habe, das in der Rückschau für Spekulationen sorgen musste.

Aber die Musikwissenschaft hat sich noch nie von psychologischer Verdachtskriminalistik leiten lassen, wenn es genügend autonome Noten gibt - und so kann die Frühfassung als Kunstwerk aufgeführt werden, das auch ohne die Erörterung von Ach und Weh für sich selbst spricht. Jetzt hat das Oliver Schnyder Trio das angebliche Gestrüpp als wundervolle Blütenlese ausgebreitet. Das Ungestüme kommt zwingend heraus, die Fugen haben kontrapunktisches Feuer. Jäher hat Brahms nie komponiert.

Das Trio spielt dieses vollreife Frühchen auf einer Platte mit allen Klaviertrios Brahms - und das Schöne ist: Sie stellen vom H-Dur-Trio auch die Zweitfassung vor. Der aufmerksame Hörer kann also vergleichen. Den Unterschied merkt er allein an der Quantität - der Erstgeborene ist acht Minuten länger.

(RP)
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